Kulturhauptstadt 2025: Nürnberg wäre besonders geeignet

19.10.2020, 17:15 Uhr

Steht die Ampel für Nürnberg auf grün? Am 28. Oktober gibt die Kulturhauptstadt-Jury die Antwort - und verkündet ihre Entscheidung. © Michael Matejka

Die Spannung wächst: In zwei Wochen, am 28. Oktober, verkündet die Jury, wer den Titel Kulturhauptstadt Europas 2025 tragen wird. Ein anstrengender, teurer und zeitaufwendiger Auswahlprozess unter den verbliebenen fünf deutschen Bewerberstädten geht dann zu Ende. Mit einem Sieger – und mit vier "Verlierern".

Natürlich werden alle versuchen, den Schwung auch einer nicht erfolgreichen Bewerbung zu bewahren. Sie werden sich vornehmen, die vielen guten Ideen trotzdem umzusetzen und die vielen Schwächen, die in schmerzhaften Prozessen herausgeschält wurden, weiter zu beheben. Nur wird dafür dann der Elan, der Rückhalt und — noch dazu in Coronazeiten — die Finanzkraft fehlen.

Schub und Imagewandel

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Deswegen hofft man in Chemnitz und Hannover, in Hildesheim, Magdeburg und Nürnberg so inständig auf diesen Titel, der internationale Aufmerksamkeit, öffentliche Gelder, wachsenden Tourismus, einen Schub in der Stadtentwicklung und damit verbunden einen Imagewandel verheißt.

Und wer macht das Rennen? Das hängt davon ab, welche der vielen Kriterien für die zwölfköpfige Jury im Vordergrund stehen: Wie überzeugend findet sie die völlig unterschiedlichen Bewerbungsbücher? Welches Gewicht haben die noch ausstehenden virtuellen Präsentationen? Und kann man aus der Wahl der Titelträger in den Jahren für 2021 bis 2024 etwas ableiten?

Wann die Städte im Osten die besseren Karten haben

Wird es eine politische Entscheidung, dann haben — nachdem die letzte deutsche Kulturhauptstadt Essen mit "Ruhr 2010" war (siehe Beitrag unten) — die beiden Städte im Osten wohl klar die besseren Karten. Noch dazu, weil 2025 das 35-jährige Jubiläum der deutschen Einheit ansteht. Chemnitz und Magdeburg liegen auch dann vorne, wenn es um die Frage geht, welcher Ort diesen Titel am dringendsten braucht, weil er durch hohe Arbeitslosenzahlen, Leerstände, ausgeprägten Rechtsextremismus oder hässliche Plattenbausiedlungen gebeutelt ist.

Apropos politische Entscheidung: In den Mitbewerberstädten Nürnbergs wird spekuliert, dass sich Markus Söder, bis vor kurzem Vorsitzender der Ministerpräsidentenkonferenz, hinter den Kulissen für seine Heimatstadt stark macht. So biografisch eng wie Söder mit Nürnberg verbunden ist keiner seiner Ministerpräsidentenkollegen mit einer Bewerberstadt.

Ist es mal wieder Zeit für eine Großstadt?

Ein Nebenaspekt, aber vielleicht in den Überlegungen der Jury nicht unerheblich: Nachdem für 2024 mit dem winzigen Bad Ischl in Österreich und Tartu in Estland, das auch nur knapp 100 000 Einwohner hat, zwei kleine Städte für den Titel auserwählt wurden, und überhaupt bis dahin keiner der Titelträger mehr als 320 000 Einwohner zählt, könnte nun auch mal wieder eine richtige Großstadt den Zuschlag bekommen. Das spräche für Nürnberg und Hannover mit jeweils über einer halben Million Einwohnern.

Auf das Bewerbungsbuch kommt es an

Wichtigstes Pfund aller Städte aber ist das Bewerbungsbuch. Auf jeweils 100 Seiten haben dort alle wie von der Jury vorgeschrieben detailliert dargelegt, mit welchen Themen, Inhalten und Programmen sie ihre Stadt und Europa voranbringen wollen. Die Konzepte der Fünf sind dabei so unterschiedlich wie die Städte selbst.

Hannover macht auf Provokation

Ausgerechnet Hannover gibt den verrückten Provokateur, lässt konsequent — und damit natürlich auch im eigenen Bewerbungsbuch — die Kunst sprechen, macht eine Performance aus dem Prozess. Man merkt es dem Ganzen an: Da hat sich ein Künstlerteam so richtig austoben dürfen.

Hildesheim umarmt die Welt

Hildesheim, der kleine, nur gut 30 Kilometer von Hannover entfernte Nachbar, geht einen ganz anderen Weg: Die Stadt gibt den weltumarmenden, fürsorglichen Kümmerer, der sich um sich selbst, um Europa, um den Planeten sorgt. Mit einem Bewerbungsleiter, der vorher bei der Kirche gearbeitet hat, ist das vielleicht auch naheliegend.

Nürnberg ist solide und intellektuell

Und Nürnberg? Ist weder ausgeprägt emotional noch auffallend pfiffig oder provokativ, und verrückt schon gleich gar nicht. Es hat eine solide durchdachte, im besten Sinne heimatbewusste und — unter einem Chef, der Musikprofessor ist — auch intellektuelle Bewerbung abgegeben. Die Jury hatte Nürnberg nach der ersten Bewerbungsrunde zu mehr Mut und Provokation animiert. Also wurde Jonathan Meese gebucht, der Berufsprovokateur der Bildenden Kunst. Eine sichere Bank, aber eben auch ziemlich naheliegend und fraglich, ob das der Jury als Beweis der Nürnberger Kühnheit reicht.

Welcher der Bewerber hat den größten Bedarf?

Neben den Inhalten des Bewerbungsbuches wird die Jury weitere Aspekte berücksichtigen. Denn auch wenn klar ist, dass es den Titel nicht für eine Leistungsschau des Vorhandenen gibt, sondern er im Gegenteil zur Stadtentwicklung mit den Mitteln der (weitgefassten) Kultur dienen soll, so stellt sich die Frage: Welcher Bewerber hat aufgrund seiner kulturellen, wirtschaftlichen, verkehrstechnischen und touristischen Infrastruktur — oder eben eventuell auch gerade durch den Mangel derselben — das größte Potenzial? Wo lohnt sich der Einsatz der Mittel ganz besonders und verspricht langfristige Effekte?

Nürnberg ist am bekanntesten

Nürnberg kommt da von vergleichsweise hohem Niveau. Und ist unter den Städten sicherlich die weltweit bekannteste. Natürlich ploppen in den Köpfe der Menschen sofort die üblichen Schlagworte auf wie Stadt der Reichsparteitage und Nürnberger Gesetze, der Lebkuchen und des Christkindlesmarktes. Aber: Es ploppt etwas auf, es kommt ein Bild hoch. Bei Hildesheim, Magdeburg oder auch Hannover dürfte das anders sein. Nürnberg wäre also für die Kulturhauptstadt ein besonders fruchtbarer Boden.