Carpendale im Interview: Howie zieht vom Leder

24.10.2017, 11:26 Uhr

Herr Carpendale, bei unserem letzten Interview 2015 suchten die Republikaner in den USA noch einen Präsidentschafts-Kandidaten, doch Sie haben schon damals gesagt: Gott bewahre uns vor Donald Trump, der Typ ist ein Clown. Nun stellt dieser Clown die Welt auf den Kopf. Haben sich Ihre Befürchtungen bestätigt?

Howard Carpendale: Er ist noch schlimmer, als ich dachte. Dieser Mann ist nicht mal fähig, Empathie zu zeigen - anscheinend ist er zu gar nichts fähig, was normales menschliches Verhalten angeht. Und sein Mundwerk funktioniert offenbar sehr viel schneller als sein Hirn: Ich kenne solche Leute, die einfach losreden, nur um etwas zu sagen - aber der Mann ist Präsident! Das geht nicht, der Typ ist völlig fehl am PlaIn

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Ihrem neuen Song "Babylon" greifen Sie nicht zuletzt das Thema Trump auf mit der Frage: "Was haben wir nur falsch gemacht" - und wie lautet die Antwort?

Carpendale: Mich erinnert der Weltenlauf an die entspannte Fahrt in einem Auto mit 140 Stundenkilometern auf der Autobahn: Alles scheint wunderbar, doch dann haben wir auf einmal eine Ausfahrt genommen, die uns in ein Durcheinander geführt hat - und inzwischen haben wir nach dieser Ausfahrt so viele weitere Abzweigungen genommen, dass wir gar nicht mehr wissen, wo der Weg zurück zur Autobahn ist. Und das macht mir Angst, dass wir offenbar nicht mehr wissen, wie wir diesen Berg von Problemen angehen sollen.

Was ist das Hauptproblem?

Carpendale: Das Geld - oder vielmehr die Art und Weise, wie es verteilt wird. Ich neige immer mehr zu der Ansicht, dass jeder Mensch auf dieser Erde eine gewisse Summe bekommen muss, um wenigstens die Chance zum selbständigen Leben zu haben. Macht er daraus nichts, ist das seine Entscheidung - aber immer mehr Menschen haben diese Entscheidungsmöglichkeit gar nicht mehr. Inzwischen ist es zum Roulette-Spiel geworden, wo man auf die Welt kommt - und die Plätze mit Aussicht werden immer rarer.

Das Ideal einer solchen Welt entwerfen Sie in Ihrem neuen Song "Füreinander da". Doch sind solche Gedanken angesichts der menschlichen Natur nicht ein wenig naiv?

Carpendale: Ja, das ist naiv...

...aber Sie singen es trotzdem.

Carpendale: Ich finde, es ist ein sehr schönes Lied und ein ganz kleiner Anfang, denn ich erlebe ja selbst, wie viele Menschen einsam und frustriert umherirren. Klar setzt man sich mit solchen Zeilen rasch dem Vorwurf der Naivität aus - aber wäre es naiv, jedem 1000 Euro zu geben?

Damit liegen Sie im Trend des bedingungslosen Grundeinkommens...

Carpendale: ...ein Gedanke, den ich schon seit vielen Jahren in mir trage, ohne diesen jemals formuliert zu haben. In den USA schon gar nicht, denn sage das einem Amerikaner und er wird dir vorhalten, das sei Sozialismus - wenn einer zu faul ist, dann soll er sterben, das ist die amerikanische Einstellung. Und sie verweisen dann auf Deutschland: "Da habt Ihr Sozialismus - und was habt Ihr davon? Nur Ärger!"

Da würde die Bundesregierung wie auch die Kanzlerin zweifellos widersprechen. Sie selbst haben sich vor der Bundestagswahl sehr positiv über Angela Merkel geäußert - was schätzen Sie an ihr?

Carpendale: Ich habe mich nicht positiv über sie geäußert, sondern lediglich gesagt, sie sei besser als alle anderen derzeitigen Alternativen. Denn auch sie gehört für mich zu diesem politischen Establishment, dessen Vertreter das Volk nicht in ihre Entscheidungen einbeziehen. Ein wenig Hoffnung setze ich in Karl-Theodor zu Guttenberg, nachdem ich ihn im Wahlkampf in Ravensburg erlebt habe: Was er sagt, hat wenigstens Sinn und ist auf den Punkt gebracht. Und er wird in der deutschen Politik wieder wichtiger werden...

...ist das gut für die Republik?

Carpendale: Das werden wir sehen. Auf jeden Fall würde ich gern mehr von ihm hören - so wie ich auch einem Christian Lindner zuhöre: Das ist keiner, der einspurig und allein an seine eigene Karriere denkt. In Amerika ist es normal, dass Politiker bei ihren Entscheidungen nur schauen, ob diese für ihre Wiederwahl von Vorteil sind - und das kann doch nicht sein!

Inzwischen leben Sie ja schon seit zehn Jahren wieder in Deutschland - was braucht dieses Land, damit es vorankommt?

Carpendale: Gregor Gysi hat jüngst gesagt: Wenn du jemanden nach Visionen fragen willst, frage Künstler - Künstler haben ein Bild von der Zukunft. Und mein Bild ist, dass wir irgendwann - in hundert, 200 oder auch 500 Jahren - wirklich eine Welt sein werden. Im Moment haben wir das Problem, dass es je nach Land und Kontinent verschiedene Entwicklungsstufen gibt: Wir hier in Deutschland etwa sind der Meinung, dass Menschen gleichen Geschlechts heiraten können sollen - anderswo möchte man Homosexuelle ins Gefängnis bringen. Wie sollen so verschiedene Völker zusammenleben? Doch ich glaube, der Tag wird kommen, wo es allen gleich ist, wer wen liebt - und diese Welt in Frieden leben wird.

Eine schöne Vision für die ferne Zukunft. Und was erhoffen Sie sich aktuell von der nächsten Bundesregierung?

Carpendale: Dass den Menschen endlich mal einer den europäischen Gedanken erklärt! Wir müssen unsere Probleme teilen: Sonst können wir Europa vergessen. Das Flüchtlingsproblem etwa kann nur gelöst werden, indem wir die geflüchteten Menschen auf verschiedene Länder verteilen - nicht zuletzt, weil es für sie viel besser ist, auf Europa verteilt zu leben als geballt in einem Staat zu leben. Nur dann kann Integration auch gelingen.

Doch davon sind wir aktuell weit entfernt...

Carpendale: ...ja, im Moment versagt Europa an allen Enden. Es ist eine Farce zu sagen, wir seien vereint - im Gegenteil, es geht jetzt in die entgegengesetzte Richtung und es sieht derzeit nicht nur in Katalonien eher so aus, als ob Europa weiter zersplittern würde. Die "Lösung" solcher Probleme waren in der Vergangenheit meistens Kriege - und das zeigt die ganze Hoffnungslosigkeit.

Wenn Sie solche gesellschaftskritischen Themen nun in einigen Ihrer neuen Songs aufgreifen, sehen Sie darin dann Anstöße zum Nachdenken?

Carpendale: Es wäre anmaßend zu glauben, ich könnte groß etwas ändern. Doch vielleicht gehen 50 Menschen aus jedem Konzert nach Hause und denken über das Eine oder Andere nach, was ich gesagt oder gesungen habe. Mag es bis zu einer Lösung dieser großen Probleme auch zig oder gar hunderte von Jahren dauern: Wenn wir es nicht anpacken, passiert gar nichts.