Wie eine Nürnbergerin Harmonika-Instrumente rettet

25.7.2019, 17:15 Uhr

Das Schicksal wollte es, dass Carmen II die letzten Jahrzehnte auf staubigen Speichern und in feuchten Kellern verbrachte. Zuletzt hatte der kleine Bruder in Grundschultagen darauf gespielt, er ist mittlerweile auch schon über 50. Kurzum: Eigentlich hatte die ganze Familie das handlich-kleine schwarze Akkordeon längst abgeschrieben. Dass es nun doch noch eine Chance bekommt, liegt einerseits am Bardentreffen, das die Quetschkommode, das Schifferklavier, die Ziehharmonika, den asthmatischen Wurm, die Wanzenpresse – oder wie auch immer das Instrument im Lauf seiner Karriere genannt wurde – am Wochenende in den Mittelpunkt rückt.

Vor allem aber liegt es an Simone Wiech, die wir anlässlich des aktuellen Festival-Schwerpunkts in ihrer rund 15 Quadratmeter kleinen Werkstatt im Nürnberger Stadtteil Johannis besuchten. Nach einem ersten Blick in Carmens Innenleben, also auf die hochkomplizierte Bassmechanik, die Stimmstöcke mit den Stimmplatten, ihren Ventilen und den im Luftstrom schwingenden Zungen sowie auf den Balg, steht für die Fachfrau fest: Carmen II, die um 1940 gebaut wurde, hat "sehr schöne Bässe", aber der Balg müffelt etwas modrig, und unter anderem müssen die Stimmplatten gereinigt werden. Mit einem Wort: Sie ist zu retten. Mit Ozon kann der muffige Geruch behandelt werden, die Stimmplatten kommen ins Azetonbad.

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Längst raus aus der Nische

Vor dreieinhalb Jahren hat Simone Wiech ihre Werkstatt für Harmonika-Instrumente in einem Hinterhaus eröffnet und nach einer schmucken, oft sechseckigen Handzug-Quetsche "Conzertina" benannt. Sie dürfte bayernweit die einzige Frau sein, die Akkordeons repariert. "In Frankreich gibt es mehrere von uns ", weiß die Expertin. Und erzählt gleich, dass die allerbesten Instrumente aber aus Italien kommen. In Castelfidardo, von dort bezieht sie teils ihre Materialien, sind allein rund 40 Werkstätten vertreten. Und Varianten der Harmonika, die längst aus der Volksmusik-Nische raus ist und in alle möglichen Musik-Genres Einzug gehalten hat, gibt es ohnehin unzählige.

Bevor Wiech ihr eigenes Reich bezog, sammelte sie Erfahrungen in Werkstätten im sächsischen Carlsfeld und in Brandenburg an der Havel. Dass die heute 45-jährige studierte Sozialpädagogin für ihren Traumberuf einst einen Job als Lehrkraft in der Heilerziehungspflege an den Nagel hängte, nennt sie "eine der besten Entscheidungen meines Lebens".

Faible für Tango

Dabei ist die Fürtherin erst vor etwa zehn Jahren auf das Instrument mit den schwebenden Tönen gestoßen, das wie ein kleines Orchester Bässe, Akkorde und Melodie in einem liefern kann. Zuvor spielte sie bereits Klavier, "aber von klein auf wollte ich Instrumente bauen und reparieren", verrät sie.

Um Akkordeon spielen zu lernen, hat sie nach dem besten Lehrer in der Region gesucht. Sie fand ihn in dem Oberpfälzer Bandoneon-Meister Norbert Gabla. Inzwischen liebt Simone Wiech vor allem den Tango und den argentinischen Tango-Erneuerer Astor Piazzolla. Am Barden-Freitag wird man sie deshalb ziemlich sicher beim argentinischen Orquesta Silbando in der Katharinenruine treffen können.

Während unseres Besuchs bringt ein Kunde sein Instrument vorbei. Irgendetwas stimmt nicht mit dem "Schwebeton E". Im Handumdrehen öffnet die Expertin den Korpus und operiert quasi am offenen Herzen. Um die Tonhöhe zu regulieren, wird vorsichtig an der entsprechenden Stimmzunge geschabt. Dafür braucht es Fingerspitzengefühl und Geduld ebenso wie ein verdammt gutes Ohr.

Irgendwann will Simone Wiech ihr eigenes Instrument bauen. Doch vorher wird sie Carmen II noch zum vollendeten Klang verhelfen.