Drängen auf Lockerungen: Aiwangers Freie Wähler kämpfen um Relevanz

24.1.2021, 19:58 Uhr

Die Freien Wähler rund um Hubert Aiwanger werden von Regierungschef Söder kritisch beäugt © Sven Hoppe, dpa

Hubert Aiwanger kann es einfach nicht lassen. Kaum deutet sich bei Bayerns Corona-Zahlen vorsichtig Entspannung an, steht der Niederbayer Gewehr bei Fuß und fordert Lockerungen. So auch in diesen Januartagen, in denen Bund und Länder aus Sorge vor Virus-Mutationen gerade eine Verlängerung des Lockdowns bis Mitte Februar beschlossen haben.

Aiwanger weiß das auch. Immerhin hat er am Mittwoch im Kabinett genau diesen Kurs für den Freistaat mitbeschlossen, ohne zu murren, wie es heißt. Doch er kann nicht aus seiner Haut. Nur zwei Tage später fordert er für Februar mal eben die Wiedereröffnung von Hotels und Skiliften. In bester Stammtischmanier erklärt er, dass sich in Hotels doch niemand mit dem Virus infizieren könne, daher gebe es überhaupt keinen Grund, nicht öffnen zu dürfen. Mehr noch: Auch die anderen Wirtschaftsminister sollten beim Bunde Öffnungsschritte einfordern und nicht "wieder wie Kaninchen vor der Schlange warten, was von Frau Merkel und der Ministerpräsidentenkonferenz aus Berlin kommt".

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Narrenfreiheit für Aiwanger

Keine Frage, Aiwanger, immerhin Chef der Regierungspartei Freie Wähler kann das natürlich niemand verbieten, genauso wenig wie sonst wem Forderungen nach Lockerungen untersagt wären. Doch als Mitglied der bayerischen Staatsregierung kommt dem gelernten Landwirt gerade in der Frage und in dieser Zeit eine besondere Verantwortung zu.

Jeder andere CSU-Minister dürfte sich nach einer solchen Aussage gegen die Linie der Regierung wohl die Papiere abholen. Doch Aiwanger genießt hier eine Narrenfreiheit, die er sich nur rausnehmen kann, weil er sich sehr sicher ist, dass Söder die Koalition nicht platzen lassen will, so gerne dieser das insgeheim vermutlich in solchen Situationen machen würde. Doch Söders politische Agenda verfolgt ein Maxim, welches darüber steht: Er will, dass sein Name und der der CSU für Verlässlichkeit steht, gerade jetzt in der Pandemie.

Alles andere als seriös

Öffentlich verzichtet Söder daher zunächst auf einen Rüffel für Aiwangers Forderung, doch beim CSU-Neujahrsempfang findet er klare Worte: Leider gebe es immer wieder Politiker, die gerne erklärten, "wann ganz sicher was geöffnet wird", sagt er. Namen nennt er keinen.

Stattdessen zeichnet Söder mit Aiwangers eigenen Aussagen aus den vergangenen Monaten das Bild eines in der Corona-Krise alles andere als seriös wirkenden Politikers, der früher gesagt habe, Corona sei nicht gefährlich und es werde auch nie eine zweite Welle geben. Söder erwähnte auch Aiwangers Aussagen zu einem Oktoberfest in der Pandemie und die Öffnung von Geschäften vor Weihnachten.

"Mein dringender Rat ist, wir sollten tun, was notwendig ist", sagte Söder und warnt davor, dass solche Forderungen das Vertrauen der Menschen in die Corona-Politik weiter beschädigen.

Freie Wähler müssen sich beweisen

Bleibt die Frage, warum Aiwanger immer wieder mit Aussagen in der Öffentlichkeit für Unmut in der Regierung sorgt? Der Niederbayer ist eben nicht nur ein regierender Minister, der sich schon qua Amt für die Belange und Interessen der Wirtschaft einsetzen muss und sich selbst als "Korrektiv von Söder und der CSU" versteht. Er ist auch ein Parteistratege, der mal wieder sieht, dass seine Freien Wähler gegen Söders CSU (und die Grünen) immer mehr an Boden verlieren.

Auf stolze 48 Prozent kommt die CSU in der jüngsten Umfrage, die Freien Wähler gerade einmal auf 8 Prozent. Sollte sich dies bei der nächsten Landtagswahl bewahrheiten, könnte die CSU wieder alleine regieren, Aiwanger müsste die Regierungsbank wieder mit den harten Oppositionsbänken eintauschen.

Keine relevante Rolle außerhalb Bayerns

Wer Aiwanger beobachtet, kann aber noch eine andere Motivation für sein ganz eigenes Rollenbild - nicht wenige nennen ihn bereits Bayerns Oppositionsminister - identifizieren: Seit Jahren träumt er davon, dass seine Freien Wähler auch außerhalb Bayerns endlich einmal politisch an Bedeutung gewinnen. Doch bisher spielt die Partei außerhalb des Freistaats keine relevante Rolle.

Zur Erinnerung: 2018 erklärte Aiwanger, die Regierungsbeteiligung in Bayern sei nur ein Zwischenschritt auf dem Weg zum nächsten großen Ziel: "In zehn Jahren werden wir im Bundestag sitzen." Vor wenigen Tagen wiederholte er seine Theorie, wonach die Freien Wähler im Bund wie in anderen Bundesländern relevant werde, weil die Menschen hier überall bürgerliche Koalitionen "statt Rot-Rot-Grün oder Schwarz-Grün oder sonstiger Gespensterdebatten" wollten.

Dazu müssten die Freien Wähler aber zunächst einmal den Einzug in den Bundestag schaffen. Bei der Wahl 2017 scheiterten sie mit 1,0 der Zweitstimmen an der entscheidenden Fünf-Prozent-Hürde.

"Die Wahrheit liegt im Kabinett"

Wie absehbar der jüngste Zoff in der Bayern-Koalition ist, zeigte sich am Mittwoch nach der Kabinettssitzung in München. Unter Verweis auf die sinkenden Infektionszahlen orakelt Aiwanger, dass schon bald "automatisch der Ruf nach Lockerungen lauter und auch berechtigt" werde. Söder kontert mit ironischem Unterton: "Es gehört zum gewissen Ritual unserer gemeinsamen Zusammenarbeit, dass Hubert Zeitpunkte nennt - und wir dann gemeinsam entscheiden, wenn sie dann eintreten, nach dem jeweiligen Infektionsgeschehen."

Und noch etwas sagt Söder in diesem Kontext gerne: "Die Wahrheit liegt im Kabinett." Spätestens am Dienstag hat Aiwanger hier wieder die Gelegenheit, seinen lauten Rufen auch Taten folgen zu lassen.