Kommentar: Bayerns Sonderweg in der Corona-Krise birgt Risiken

16.4.2020, 13:42 Uhr

Bayerns Ministerpräsident Markus Söder vollzieht mit seiner Politik in der Coronakrise einen Balanceakt. Warum die Maßnahmen ausgerechnet in Bayern noch stärker in das öffentliche Leben eingreifen sollen, als in den anderen Bundesländern, versteht manch einer dabei nicht. © Bernd von Jutrczenka, dpa

Bayern geht also seinen Sonderweg weiter. Erst früher den Lockdown gestartet, jetzt ihn später aufheben – es ist eine Geduldsprobe, die Markus Söder den Menschen im Freistaat auferlegt. Gewiss: Es gibt gute Argumente dafür, warum der Weg zurück in die Normalität kein kurzer sein kann und darf. Doch dass er innerhalb Deutschlands in verschiedenen Geschwindigkeiten begangen wird, ist nicht ohne Risiko.

Denn die Menschen sind strapaziert nach mittlerweile knapp fünf Wochen im Ausnahmezustand. Die Wirtschaft geht in die Knie, spätestens ab dem Sommer wird eine Pleitewelle durchs Land laufen von bisher unabsehbarer Größe. Wie beispielsweise Wirte, Künstler, Hoteliers, Eventagenturen überleben sollen, erklärt die Politik derzeit nicht wirklich. Dabei müsste sie gerade diesen Menschen eine Perspektive bieten, weil sie ihnen ihre Lebensgrundlage entzieht. Sie tut es nicht, vielleicht auch, weil sie es nicht kann.

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Wer sich im Land umhört, der vernimmt derzeit zweierlei: Die Menschen haben bisher die Maßnahmen mitgetragen, den rigiden Eingriff in ihre Freiheit, in ihr Leben. Sie haben es hingenommen, weil es ihnen eingeleuchtet hat, für die eigene Gesundheit, vor allem aber für die der anderen. Doch diese Einsicht schrumpft. Und sie schrumpft umso mehr, je weiter Bayern seinen Sonderweg geht.

Es ist für viele nicht mehr absolut nachvollziehbar, warum die Geschäfte in Bayern länger geschlossen bleiben sollen als in anderen Bundesländern. Sie verstehen nur noch begrenzt, wieso sie sich in Bayern nur mit Menschen aus dem eigenen Hausstand draußen bewegen dürfen, nicht aber mit einem Freund oder einem Verwandten, wenn sie die Abstandsregeln einhalten – ein Punkt, an dem Söder jetzt nachbessert. (Anmerkung der Redaktion: Ab kommenden Montag, 20. April, ist im Freien auch der Kontakt zu einer Person außerhalb des eigenen Hausstands erlaubt.)

Und sie wundern sich, was eine Empfehlung zum Maskentragen sein soll, wenn die keine Anweisung ist. Am Ende könnte es eine Zwei-Klassen-Gesellschaft geben aus denen, die sich sorgen und maskieren. Und aus jenen, die das schon bisher alles eher für übertrieben gehalten haben. Und auf eine Maske verzichten. Was das mit den Menschen anrichtet, wie das die Gesellschaft spaltet, wird sich noch zeigen.



Söder muss aufpassen, dass er die bislang ziemlich stabile Moral der Bayern nicht durchlöchert. Wenn rund um den Freistaat die Geschäfte bereits mit strengen Auflagen wieder öffnen dürfen, wird er sich fragen lassen müssen, wieso das in Bayern gefährlicher sein soll als anderswo. Söder erkennt das durchaus. Er reagiert, lockert beispielsweise die Ausgangsbeschränkung. Auch bei den Verkaufsflächen ist er nun einen Schritt zurückgegangen. Gestern hatte er noch angekündigt, er werde sie deutlich stärker einschränken als die anderen. Das plant er nun nicht mehr.



Doch es bleibt ein Balanceakt. Als Söder mit den bayerischen Maßnahmen zu Beginn der Coronakrise vorgeprescht ist, hat er seine Kollegen in den anderen Bundesländern auf Kurs gezwungen. Es war die Stunde des Föderalismus, der Moment, in dem sich unser System bewährt hat. Söder hatte die Freiheit für seinen eigenen Weg. Er wollte und konnte nicht warten, bis die anderen sich auf einen windigen Kompromiss verständigt hatten, der womöglich weit hinter den bayerischen Vorstellungen, den Notwendigkeiten zurück geblieben wäre. Jene, die ihm damals vorgeworfen hatten, er wolle sich nur profilieren, mussten das später revidieren.

Doch diesmal liegen die Fakten etwas anders. Das Konzept, auf das sich Kanzlerin und Länderchefs auch auf Druck Söders geeinigt haben, ist handfest. Es ist tragfähig. Und es wirkt ausgewogen. Söder wird den Menschen mehr als einmal erklären müssen, warum er das anders sieht, als einziger unter 16 Länderchefs. Denn wirklich nachvollziehbar ist nicht, wieso andernorts die Geschäfte schon am Montag öffnen können, Bayerns Einzelhändler aber erst in mehr als einer Woche.


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