Kommentar: Der Bayerische Landtag hat enorme Befugnisse

5.9.2018, 05:54 Uhr

Die Abschaffung des Bayerischen Landtags wäre ein Fehler, meint Roland Englisch. Denn der Föderalismus ist das beste und ehrlichste System. © Sven Hoppe/dpa

Sie ist nicht neu, die Klage, dass sich Politik und Wähler immer weiter voneinander entfernen. Unterstellt, die These stimmt tatsächlich, wie sinnvoll wäre es dann, diese Distanz noch künstlich zu vergrößern?

Unser demokratisches System, sein Aufbau, ist eine Besonderheit in Europa, in der Welt. Wir haben das Land in politische Ebenen aufgeteilt, ihnen passende Zuständigkeiten zugeschrieben, von der kleinsten Einheit, der Kommune, über die Bezirke hinauf zu den Landesregierungen und von dort zum Bund. Die Idee dahinter ist bis heute bestechend: Jede Ebene regelt, was für die darunter eine Nummer zu groß ist. Subsidiarität heißt das Prinzip, das kaum ein anderes Land so konsequent umsetzt wie wir.

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Auch wenn der Föderalismus gelegentlich nervt, weil er anstrengend ist, manchmal kleinteilig, oft fordernd – er ist das beste und ehrlichste System. Die Bürger treffen auf Politiker, die ihnen erklären können, was sie warum beschlossen haben. Diese Nähe ist übrigens in Bayern besonders groß – kein anderes Bundesland gestattet regionalisierte Listen. Nur bei uns können die Franken aus fränkischen Listen wählen. Niemand setzt ihnen etwa einen Oberbayern vor.

Natürlich: Je höher die Ebene, desto größer wird die Distanz. Im Kommunalen ist die unmittelbare Betroffenheit hoch; auf Landesebene lässt sie schon nach. Zu Unrecht. Die Landtage haben noch immer enorme Befugnisse, von der Finanz- über die Bildungs- bis zur Sicherheitspolitik. Auch wenn sich die Nähe zwischen Landesebene und Bürger nicht immer auf den ersten Blick erschließt, sei doch ein einfaches Gedankenexperiment erlaubt: Wie hätte der Protest wohl ausgesehen und wie wirkungsvoll wäre er gewesen, wenn das neue Polizeiaufgabengesetz nicht auf Landes- sondern auf Bundes- oder gar europäischer Ebene entstanden wäre?

Das ist das eigentlich Verblüffende an der Diskussion, dass die gleichen Menschen, die den Landtag für überflüssig erklären, sich umgekehrt darüber beschweren, wenn sich etwa die EU in alle Lebensbereiche einmischt. Sie kann dies nur, weil andere Länder das subsidiäre System nicht haben. In England etwa oder in Frankreich bestimmen zentrale Regierungen über das Schicksal eines ganzen Landes. Wer aber von Paris aus entscheiden soll, was für die Menschen im Baskenland oder von London aus für die Schotten das Richtige ist, der muss zwangsläufig die verschiedenen Interessen aller über einen Kamm scheren.

Der Föderalismus deutscher Ausprägung war auch die Antwort auf die erste Hälfte des 20.Jahrhunderts. Er sollte verhindern, dass einige wenige über das Schicksal aller entscheiden und sie im Zweifel in den Abgrund reißen. Das ist in den vergangenen 70 Jahren verblüffend gut gelungen, nicht nur, aber auch, weil es die Landtage als Korrektiv der Bundespolitik gibt.

Zumal ein Weg allen offensteht, denen die Politiker zu abgehoben und die Parlamente zu fern sind: Sie können sich zur Wahl stellen, für ihre Ideen und ihre Kritik werben. Und dann beweisen, dass sie es tatsächlich besser machen werden. Denn das ist das Schöne an der Demokratie: Sie versteckt sich nicht, sie ist für alle da.