Kommentar: Ein Zentralabitur löst das Problem nicht

26.7.2019, 10:54 Uhr

Die bildungspolitische Kleinstaaterei in Deutschland ist ein Anachronismus erster Ordnung. International ist man bemüht, Bildungsstandards anzugleichen und Abschlüsse wechselseitig anzuerkennen. In Deutschland dagegen hat sich die Schullandschaft in den vergangenen Jahrzehnten so weit auseinanderentwickelt, dass es für Familien mitunter schwierig ist, mit ihren Kindern von einem Bundesland in ein anderes zu ziehen, weil die Schulsysteme so überhaupt nicht zusammenpassen.

Die Debatte um das Zentralabitur ist im Grunde ein Eingeständnis, dass das so nicht weitergehen kann. Ja, es kann nicht sein, dass ein Abitur in manchen Bundesländern billiger zu haben ist als in anderen. Doch die Fehlentwicklung im deutschen Bildungswesen ist mit zentral gestellten Abituraufgaben nur sehr begrenzt zu korrigieren.

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Das viel drängendere Problem ist, dass deutsche Schulen alle paar Jahre mit immer wieder neuen angeblichen Reformen überzogen werden, dass dabei aber die Art und Weise, wie in Deutschland Unterricht stattfindet, vielfach nicht mehr zeitgemäß ist. So lange die Kultusministerkonferenz (KMK) der Ort ist, an dem die Schulbildung verhandelt wird, kann es kaum Neuerungen geben. Dort sitzen Bremser, nicht Neuerer.

Die Folge ist: Unterricht wird immer noch großteils in 45-Minuten-Häppchen erteilt, die Fächer sind mehr oder weniger abgeschottet, obwohl in der realen Welt gerade vernetztes Denken und Teamarbeit gefordert sind. In Finnland wird bereits mit Schulen experimentiert, in denen es die gewohnten Klassenzimmer nicht mehr gibt. Es werden moderne, offene Gebäude gebaut, die auch dadurch ihren Schülern vermitteln, wie wichtig eine hochwertige Lernlandschaft ist.

Alles wird zerschreddert

Manche Kritiker spotten, dass sich das deutsche Schulwesen im Grunde seit dem 19. Jahrhundert nicht wesentlich geändert hat. Natürlich stimmt das so nicht, es ist polemisch. Doch es enthält einen wahren Kern. Alle Kultusministerien halten sich ihre eigenen Thinktanks, in denen zum Teil hervorragende Arbeit geleistet wird, in denen vorausgedacht wird. Doch in der KMK-Mühle wird all das zerschreddert.

Das ist die Debatte, die wir in Deutschland eigentlich führen müssten. Die Debatte um das Zentralabitur ist wie der Versuch, ein ernstes offenes Geschwür mit einem Heftpflaster zu heilen. Es wird vielleicht die Eiterung zudecken, aber nichts kurieren.