Kommentar: Nach dem Brexit brauchen wir mehr Europa

21.3.2017, 09:46 Uhr

Ja, es gibt diese Geschichten über Europa: Offene Ölkännchen auf dem Gasthaus-Tisch, die verhindert werden sollten. Steckdosen, die in allen Ländern der Gemeinschaft vereinheitlicht und deshalb in jedem Haushalt ausgetauscht werden sollten. Beides konnte zwar verhindert werden. Aber die Vorstellung prägt sich ins Gehirn  - das ist also Europa.

Nein, ist es nicht. Stattdessen: Es sind über 70 Jahre Frieden zwischen den Staaten der Europäischen Union, deren Geschichte und Vorläufer bis an das Jahr 1957 zurückreichen. Das sind praktisch zwei Generationen, die ohne Angst vor kriegerischen Auseinandersetzungen innerhalb Mitteleuropas leben konnten. (Für den Kalten Krieg im vergangenen Jahrtausend konnte die EU wirklich nichts.) Hinzu kam ein Wohlstand, wie ihn die Staaten des Bündnisses in der Geschichte noch nie in der Historie erlebt hatten. Es sind die besten aller real existierenden Zeiten, seit es Frankreich, Italien, Deutschland und all die anderen Länder gibt.

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Dagegen sind Ölkännchen und Steckdosen Banalitäten. Wer das vergisst, den bestraft die Wirklichkeit: Großbritannien fängt allmählich an, das zu verstehen. Das Pfund sinkt, mit deshalb teureren Importen wird das Leben für jeden einzelnen kostspieliger. Die Wirtschaft blickt in eine ungute Zukunft; Jobs wackeln oder entstehen gar nicht erst. Und Handelsverträge mit Donald Trumps USA statt mit Brüssel - viel Spaß damit.

Wer die Gründe für den Brexit anschaut, findet eine verhängnisvolle Mischung: Politiker, die das Blaue vom Himmel versprechen. Ängstliche ältere Wähler, die das glauben und entsprechend abstimmen. Und Jüngere, die die Errungenschaften der Gemeinschaft als selbstverständlich ansehen und deshalb den Wahllokalen fernbleiben.

Die gute Nachricht ist: Es hat einmal funktioniert und dann nicht mehr. Rechtspopulist Norbert Hofer in Österreich? Als Präsidentschaftskandidat gescheitert. Rechtspopulist Geert Wilders in den Niederlanden? Hat unerwartet schwach abgeschnitten. Das wirkungsvolle Rezept gegen sie waren engagierte, liberale Wähler, die begriffen haben, dass gegen Verdummungsstrategien eins hervorragend hilft: Abstimmen - und dagegen halten.

Es wird weitergehen. Rechtspopulistin Marine Le Pen in Frankreich: Als Präsidentschaftskandidatin nach heutigem Stand chancenlos. Rechtspopulistin Frauke Petry in der Bundesrepublik: Ihrer AfD droht die Fünf-Prozent-Hürde.

Alles gut also? Nein. Die leidige Finanzkrise bedroht Griechenland und unter Umständen Italien noch immer. Autoritäre Tendenzen, vor allem in Polen und Ungarn, sind mit europäischen Werten unvereinbar.

Das Rezept dagegen ist nicht weniger Europa, sondern mehr. Mehr Einigkeit zwischen den Führungsstaaten wie Deutschland und Frankreich. Mehr Entschlossenheit in der EU-Kommission, bei problematischem Verhalten einzelner Regierungen auch einmal die Zuschüsse zu reduzieren. Und der Wille aller, Einzelinteressen auch einmal hinter die gemeinsame Sache zurückzustellen.

Keiner hat je behauptet, dass Europa eine einfache Angelegenheit ist. Aber es winkt eine hohe Belohnung - nämlich Freiden und Wohlstand auch für die kommenden Jahrzehnte.