Der zähe Kampf um die Gunst des Club-Publikums

2.3.2018, 12:51 Uhr

Wie das immer so ist mit Nürnberger Fußballrekorden: Auch dieser ist ein wenig speziell. Nie kamen mehr Zuschauer zu Heimspielen als in der Saison 2007/08, im Schnitt waren es 43.721 – die DFB-Pokalsieger machten Lust auf den Club, aber am Ende der Spielzeit stand der siebte Abstieg aus der Bundesliga.

Halb voll oder halb leer? 

Jetzt ist der Club wieder einmal auf dem Rückweg dorthin, bisher beehrt von im Schnitt 26 700 Getreuen pro Heimspiel. Nur der FC St. Pauli (29 330) und Dynamo Dresden (27 630) erfreuen sich in der zweiten Liga eines höheren Zuspruchs, aber natürlich bleibt es die Frage: Ist das Nürnberger Stadion regelmäßig halb voll? Oder halb leer?

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Michael Köllner hat sich für die zweite Lesart entschieden, seit Wochen führt der Trainer einen leidenschaftlichen Kampf um die Gunst des Publikums. "Eine größere Unterstützung verdient", findet Köllner, hätte sein Team; über sein Ansinnen, "die Zuschauer zu sensibilisieren für unseren Fußball" (wie er es formulierte), hat Köllner eine mit Feuereifer betriebene private Kampagne gestartet – inzwischen in der Ahnung, "dass ich mich damit nicht überall beliebt mache". Es ist ja einer schmaler Grat zur Publikumsbeschimpfung – wobei seine gebetsmühlenartig vorgetragenen Appelle denjenigen gelten, die eben gerade nicht da sind.

Es ist aber keine völlig neue Bestandsaufnahme, tatsächlich sinkt das Publikumsinteresse inzwischen im bereits neunten Jahr konstant. Vor im Schnitt noch 33.081 Besuchern ging es 2008/09 zurück in die Erstklassigkeit, im ersten Jahr nach dem Wiederaufstieg kamen im Schnitt 42.336 Zuschauer pro Heimspiel – aber die Zahl ging schon während der fünf Bundesligajahre stetig zurück, wenn auch Jahr für Jahr nur minimal, den Abstieg 2013/14 begleiteten durchschnittlich noch 40.412 Leidensfähige.

Natürlich bedeutete dieser bisher jüngste Abstieg eine Zäsur, aber im leidlich gruseligen ersten Zweitliga-Jahr 2014/15 kamen tatsächlich noch etwas mehr Zuschauer (30.489) als im spektakulären zweiten (30.353), das beinahe mit dem Wiederaufstieg geendet wäre, der 1.FC Nürnberg scheiterte erst in den Relegationsspielen. Es folgte das wieder verpatzte Spieljahr 2016/17 mit einem Schnitt von 28.650 Besuchern; aber dass der Club jetzt, auf Platz eins gestürmt, (bisher) noch einmal einen geringeren Zuspruch erfährt, erstaunt wahrscheinlich nicht bloß Michael Köllner.

Hausgemachte Misere

Allerdings ist die vermeintliche Misere teils auch hausgemacht. Weil die Südkurve des Stadions – in Erwartung eines überschaubaren Interesses – vom ersten Spieltag an geschlossen blieb, bleiben für spontan Interessierte bloß Karten für die Haupt- und Gegengerade, die deutlich teurer sind. Daneben stehen die Schattenseiten des Fußball-Vermarktungsbooms: Vergleichsweise hohe Eintrittspreise, unfreundliche Anstoßzeiten, fürs Fernsehen zerstückelte Spieltage – der Ballbetrieb macht es dem langjährigen Stammpublikum zunehmend schwerer.

Aufstieg vor 16.000 Zuschauern

Wie man die Zahlen für Nürnberg einordnet, bleibt aber auch Ansichtssache; die gefühlte Erinnerung, wonach es früher voller gewesen sei im Stadion, täuscht nämlich beträchtlich. Den sechsten Nürnberger Wiederaufstieg in die Erstklassigkeit zum Beispiel begleiteten 2003/04 im Schnitt bloß 16.359 Zuschauer, obwohl man die angehenden Pokalsieger und den Zweitliga-Torschützenkönig Marek Mintal sah. Und selbst in der großen Ära der jungen Wilden von Trainer Heinz Höher, die 1985 aus der 2. Liga aufstiegen und in den Europacup stürmten, hielt sich das messbare Interesse in Grenzen.

Neun Jahre hintereinander spielte Nürnberg damals in der Bundesliga, nur in dreien kamen mehr als 30 000 Fans im Schnitt, 40 000 waren es nie – allerdings waren es in jeder Hinsicht ganz andere Zeiten, im Spieljahr 1985/86 zum Beispiel war der 1.FC Nürnberg (zum zweiten Mal nach dem Meisterjahr 1967/68) Deutschlands Zuschauer-Krösus: Im Schnitt 27 181 Besucher waren damals Rekord in der Bundesliga, der deutsche Meister Bayern München folgte auf Platz zwei (26 562).

Endlich ausverkauft?

Einen Zuschauerboom hatte die 1963 gegründete Bundesliga auch nur bedingt ausgelöst, einen Schnitt von erstmals über 30.000 Zuschauern erreichte der Club erst als Deutscher Meister 1968: Vor fünfzig Jahren begleiteten den Überraschungs-Erfolg im Schnitt 37.233 Zuschauer - erstmals über 40 000 waren es tatsächlich erst 39 Jahre später im Pokalsiegerjahr 2006/07 (40 615).

Das Frankenderby gegen die Fürther Nachbarn am morgigen Samstag wird den aktuellen Schnitt deutlich anheben, weit über 40.000 Tickets sind bereits verkauft. Erst zum dritten Mal seit dem achten Bundesliga-Abstieg könnte das Haus sogar ausverkauft sein – wie zuletzt im Frühjahr 2016, als Ende Februar das Derby gegen Fürth und dann im Mai das Relegations-Rückspiel gegen Eintracht Frankfurt vor vollen Rängen stattfanden. Dass der Schnitt bis zum Ende der laufenden Saison deutlich nach oben korrigiert wird, ist stark anzunehmen, spätestens ein Bundesliga-Aufstieg würde sicher eine Trendwende bedeuten.

Eine günstige Gelegenheit zur Eigenwerbung bietet der Samstag so oder so; wie stark das Derby den Wunsch nach einem regelmäßigen Wiedersehen weckt, dürfte allerdings auch vom Resultat abhängen.