Rother Ehepaar lebt am Puls der Leichtathletik

5.4.2021, 16:01 Uhr

Als Eva und Bernhard Sturm aus Roth vor mehr als 20 Jahren ihre ersten Kampfrichter-Lehrgänge besuchten, war die Mess-Welt in der Leichtathletik noch analog. Gemessen wurde mit der Stoppuhr und mit dem Maßband, Roboter hatten auf der Anlage nichts zu suchen. "Bei der DLV-Leichtathletik-Gala in Nürnberg habe ich den Speer von Boris Henry noch persönlich zurückgetragen", erinnert sich Eva Sturm an diese Zeit mit einem stolzen Lächeln auf dem Gesicht. Heute heißt er Boris Obergföll und ist Leitender Trainer für Speerwurf beim DLV (Deutscher Leichtathletikverband).

Dass sie als Paar so viele hochrangige Wettkämpfe begleiten würden, hatten sie zu Beginn gar nicht im Visier. Als Eltern und Aktive beim damaligen TSV Roth wollten sie einfach mithelfen, dass für Kinder und Jugendliche attraktive und gut organisierte Wettkämpfe ermöglicht werden konnten.

Werbung
Werbung



Doch schon bald kam der erste spannende Einsatz. Bernhard Sturm weiß noch genau: "Beim Marathon der Leichtathletik Europameisterschaften im August 2002 in München war ich Abschnittsleiter des Bereichs Englischer Garten. Da haben wir nicht nur Absperrungen aufgebaut, sondern auch Abfallkörbe kontrolliert und viele Polizei-Aufgaben übernommen. Weil Läufer aus Israel dabei waren, galten besonders strenge Sicherheitsbestimmungen."

Vom Helfer über den Kampfrichter und die Rolle des Obmanns stieg Bernhard Sturm schnell auf und wurde bereits 2003 Schiedsrichter. Damit hat er einen der höheren Ränge innerhalb der Leichtathletik-Kampfrichtergilde inne. Darüber stehen nur noch NTO und ITO (National/International Technical Official). Und da seine Frau Eva sein Hobby – es ist ein reines Ehrenamt – teilt, haben sie seit dieser Zeit schon etliche spannende Ausflüge miteinander erlebt. Ob als Riegenführer für die Kleinen, bei Kreis- und Bezirksmeisterschaften oder bei internationalen Einsätzen: "Für uns sind alle Wettkämpfe gleich wichtig, wir sind auch gerne bei den Kleinen", betonen beide. Zählt man die Termine zusammen, landet man aktuell bei der Schnapszahl 333, mit einem leichten Vorsprung für Bernhard.

Warnrufe verhinderten manchen Unfall

Sicherheit, Fairness und Regelkonformität – dies zu gewährleisten, ist die Hauptaufgabe der Kampfrichter in der Leichtathletik. Wie viele Sicherheitsrisiken es in der kontaktlosen Leichtathletik gibt, allein darüber könnten die Sturms ganze Abende mit Geschichten füllen: Seien es Querschläger vom Speer oder Nässe im Wurfring und in der Anlaufbahn: Kampfrichter müssen die Augen überall haben und immer voraussehen, wo es gefährlich werden könnte. Brenzlig wird es, wenn Athleten – gedanklich mit dem eigenen Wettkampf beschäftigt – in die Bahn laufen und mit einem Läufer oder Springer kollidieren.

Da hat die sonore, weithin hörbare Stimme des ehemaligen Berufssoldaten Bernhard Sturm schon so manchen Zusammenprall in letzter Sekunde verhindern können. Durch die Digitalisierung hat sich das Wettkampfgeschehen in der Leichtathletik in den vergangenen 20 Jahren massiv verändert. Los ging’s mit der elektronischen Zeitmessung in den Laufwettbewerben. "Seitdem haben einige kleine Vereine keine Wettkämpfe mehr angeboten. Sie können sich so eine Anlage nicht leisten oder haben schlichtweg niemanden, der sie bedienen kann." Digitalisierung hat eben nicht nur Vorteile.

Bald darauf kam die elektronische Datenerfassung, die heute gar nicht mehr wegzudenken ist. Bei Top-Meetings und Meisterschaften ab Landesebene aufwärts fällt es heute schon negativ auf, wenn einmal keine Echtzeit-Eingabe angeboten wird. Meist sehen die Fans bereits Sekunden nach dem Wurf oder Sprung, wie weit es ihr Favorit geschafft hat. Dass alle Zahlen korrekt sind, dafür sorgt zum Beispiel Eva Sturm mit der Dateneingabe.

Eine weitere bahnbrechende Innovation war die elektronische Weitenmessung, vor allem beim Weit- und Dreisprung, aber auch beim Wurf. Hier gibt es inzwischen bei hochkarätigen Wettkämpfen einen Videoschiedsrichter, der die Entscheidung des Obmanns an der Bahn überstimmen kann: Übertreten oder gültig? Wo ist der hinterste Abdruck? Dies sieht die Kamera einfach genauer als das menschliche Auge. Und auch die genaue Weitenmessung erfolgt bei Deutschen und internationalen Meisterschaften längst nicht mehr per Maßband. "2018 hatte Kristin Gierisch bei den deutschen Meisterschaften in Nürnberg einen fantastischen Satz im Dreisprung hingelegt. Ich hatte den Abdruck bei knapp 15 Metern gesehen. Doch dann wurde ich vom Videoschiedsrichter korrigiert: Auf dem Film war zu sehen, dass der Pferdeschwanz der Springerin fast einen Meter vor dem Abdruck über den Sand gestreift war. Das bewegt mich heute noch", trauert Bernhard Sturm dem Nicht-Rekord nach.

Einsatz auf dem Nürnberger Hauptmarkt

Eine weitere Aufgabe der Kampfrichter ist es, möglichst unsichtbar zu sein. Vor allem, wenn das Fernsehen da ist. Schließlich soll es ja um die Athleten gehen. Daher gibt es kaum Fotos der beiden, wenn sie ihrem Job nachgehen. Eine schöne Ausnahme dieser Regel gab es 2015 auf dem Nürnberger Hauptmarkt. Dort wurde, als besonderer Publikumsmagnet, die Anlage, die zuvor bei "Berlin fliegt" im Einsatz gewesen war, in Nürnberg aufgebaut, und die Weitsprungwettbewerbe fanden in prominenter Lage statt. Dort war es so eng, dass die Fotografen keine Möglichkeit hatten, Bilder gar ohne Kampfgericht zu liefern. Und so haben es auch die Sturms auf ein paar Fotos geschafft.

Ihr letzter Auftritt liegt inzwischen ein Jahr zurück. Es waren die Bayerischen Hallen-Mehrkampfmeisterschaften in Fürth. Um sich mit dem Regelwerk auf dem Laufenden zu halten, werden – auch hier hat die Digitalisierung Einzug erhalten – Videomeetings für Kampfrichter angeboten. Doch eigentlich mögen es die Sturms, die inzwischen seit vierzig Jahren verheiratet sind, lieber live. Wenn die Anfrage kommt, werden sie hoffentlich auch 2021 wieder gemeinsam an der Tartanbahn sitzen: Hoch konzentriert, alles im Blick – und (fast) unsichtbar.