Um 22.06 Uhr ist das Fürther Bundesliga-Glück perfekt

17.4.2012, 09:00 Uhr

Fürth ist Erstligist - und die Fans wissen, wem sie diese Glücksmomente zu verdanken haben. Ihr Aufstiegsheld ist Mike Büskens. © Thomas Scherer

Dass sie vom Ronhof sind, das weiß mittlerweile wirklich ein jedes Kind. Aber dass sie — wie es in einem schönen Liedchen heißt — lediglich Bäume ausreißen, wo keine sind, das glaubt niemand mehr. Die Spielvereinigung Greuther Fürth hat eine historische Saison gespielt, war im Pokalwettbewerb 119 Minuten gleichwertig mit Deutschlands bester Fußballmannschaft und hat, das ist vielleicht die größte Leistung, eine Stadt begeistert, in der man so etwas selbst nicht für möglich gehalten hatte. Dieses lange so unscheinbare Kleeblatt hat einen ganzen Wald ausgerissen und durfte deshalb Montagnacht vor dem Fernsehgerät den Aufstieg in die Bundesliga feiern.
 

20.15 Uhr: Anstoß in Dresden. Dynamo gegen Fortuna Düsseldorf – zweite Bundesliga, kleine Einschaltquoten für den Spartensender Sport1. Außer im Großraum Fürth, wo es jetzt ungefähr so viele Dynamo-Fans gibt wie in Dresden. Gewinnen die Sachsen, ist Fürth aufgestiegen – die Fürther Fußballer bereiten sich vor: Gemeinsam im Ronhof, vorm Bildschirm.

Werbung
Werbung

Franken färbt sich jetzt weiß und grün. Plötzlich ist es ja schick, sich mit dem Kleeblatt zu schmücken. Plötzlich wollen sie alle dabei sein, wenn bald die Busse aus Dortmund, München und Bremen am Laubenweg vorfahren. In der Geschäftsstelle müssen sie Anfragen nach Dauerkarten im Minutentakt beantworten. Deshalb für alle neuen Fürth-Freunde der Text des einzig wahren Fangesangs, jederzeit nachzuhören in der Gustavstraße:

Und dann gemma mit Gesang, tätärä / auf der Färdder Straß entlang, tätärä / und die Kutschn loumer rutschn, tätärä / auf der Färdder Straß entlang, täterä. / Dass wir vom Ronhof sind, hallihallo / das weiß ein jedes Kind, hallihallo / wir reißen Bäume aus / wo keine sind / und die Fahne weht im Wind / und das Kleeblatt Fürth gewinnt.

20.21 Uhr: Tor in Dresden – Dynamos Dedic trifft mit rechts zum 1:0, Sport1 schwenkt seine Kameras auf die Tribüne des Dresdner Stadions: Man sieht Mike Büskens, Fürths Trainer, und Sportdirektor Rachid Azzouzi. Azzouzi lächelt. Jetzt, sagt der TV-Reporter, sind sie aufgestiegen. Und leuchten nicht auch Büskens’ Augen? Jetzt wird’s wahr ... nur noch 84 Minuten ...

Aber geht das überhaupt gut in der Bundesliga? Für diesen Verein wurde doch der Begriff der grauen Maus der zweiten Liga geprägt. Keine Zuschauer, keine Stimmung – 96 Jahre lang, bis zum Rosenmontag 2001. Dann übernahm ein gewisser Jürgen Klopp. Seitdem ist der FSV Mainz nur noch als Karnevalsverein bekannt, stolz auf diesen Beinamen und damit das beste Vorbild für Fürth: Lange an den Rand des Aufmerksamkeitsspektrums gedrängt, wiederholt dramatisch gescheitert, triumphal doch aufgestiegen und heute mit Selbstironie als friedliche Alternative zu den Traditionsvereinen etabliert. Büskens kann das werden: der neue Klopp – bloß Dortmund-Coach wird er mit seiner Schalker Vergangenheit nie.

21.39 Uhr: Weiter einsnull. Fortuna kommt kaum ins Spiel. „Und“, fragt der Fernsehreporter, „was denken die lieben Fürther im Frankenland“?

Ja, was denken sie? All die Jahre ... Siebenmal Fünfter, einmal Vierter. Mit großer Ernsthaftigkeit hat sich die Spielvereinigung zu einem für seine vernünftige Arbeit respektierten Zweitliga-Klub entwickelt. Wenn dann aber „irgendwo von den Unaufsteigbaren die Rede, bekamen die Verantwortlichen Atemnot“ (aus den Fürther Nachrichten). Es war die Fangruppierung Sportfreunde Ronhof, die später zur „Unaufsteigbar-Tour“ aufbrach, und es war ein kleines Wunder, dass allmählich auch die Vereinsverantwortlichen darüber lachen konnten. Die „Unaufsteigbar-Tour“ wurde zum Markenzeichen eines Verein, der weiterhin ernsthaft geführt wird, aber gelernt hat, den Sonderbarkeiten des Geschäfts mit einem Lächeln zu begegnen.

20.58 Uhr: Tor in Dresden ... Bröker für Düsseldorf, 1:1 – eine Minute, nachdem die Deutsche Presseagentur Fotos aus dem Ronhof geschickt hat: Edgar Prib, Heinrich Schmidtgal – und eine Sektflasche. Ach, schade drum, schade um diese Nacht, um diese Seite, die ja gar nicht erscheint, wenn nicht doch noch ...

In Fürth sitzt Oberbürgermeister Thomas Jung gemeinsam mit zwei Fernsehteams im „Gelben Löwen“, wo der Legende nach einst Freddy Quinn, alias Franz Eugen Helmuth Manfred Nidl-Petz, entdeckt wurde. Der sang: „Weit ist der Weg, der Weg ist so weit“ – jetzt sind es, nach 49 Jahren Bundesliga ohne den fränkischen Altmeister, bloß noch ein paar Tage. Oder doch nur 45 Minuten ... Bitte, Dresdner, ein Tor, ein einziges, das geht doch jetzt noch? Sport1 zeigt in der Halbzeitpause OB Jung, im „Gelben Löwen“.

21.34 Uhr: Schnell rüber nach Dresden; Riesenchance für Dynamo – Koch scheitert Keeper Almer; Mensch, Koch, das kann man besser machen. Occean, Asamoah, Schröck: Ein Fürther hätte da getroffen.

Überhaupt: Fürth, das ist groß. Gut, Franz Beckenbauer war vier Jahre alt, Uli Hoeneß noch nicht einmal geboren und die Mannschaft, die sich da am 29. Januar 1950 im Ronhof vorstellte, noch nicht einmal ein Versprechen an die großen Zeiten, die da noch folgen sollten. Aber trotzdem: Es war der FC Bayern München, der an diesem Tag mit 6:1 aus dem Ronhof geschossen wurde. Als Inspiration für die Generation Schmidtgal die historische Aufstellung: Goth; Frosch, Plawky – Helbig, Vorläufer, Gottinger – Hoffmann, Brenzke, Schade, Appis, Nöth.

21.43 Uhr: Toooooooor in Dresden!!!! Koch wieder nicht, der trifft die Latte, aber Appis ist zur Stelle, oder war es Nöth? – ach, Unsinn, ruhig bleiben; Pote ist es, dieser sagenhafte Pote, staubt ab, 2:1 für Dresden, Fürth aufgestiegen, im Ronhof stehen sie jetzt auf den Tischen, Asamoah, Prib, Schmidtgal, noch zwanzig Minuten, dann ...

Helmut Hack sitzt weder daheim in Vestenbergsgreuth noch in Fürth vor dem Bildschirm noch in Dresden im Stadion. Der Präsident nimmt an einer DFL-Vorstandssitzung in Frankfurt teil, er sitzt im Hotel. „Ich wäre natürlich gern in anderer Runde vorm Fernseher“, lässt Hack die Heimat grüßen.

21:54 Uhr: Noch zehn Minuten, ohne Nachspielzeit. Ilsö, Düsseldorf, rennt, Dynamo kämpft, brav, sehr brav, weiter 2:1, das Dresdner Stadion bebt, der Ronhof jetzt auch. „Unbeschreibliche Gefühle“, sagt Kleeblatt-Kapitän Thomas Kleine und versucht es dann doch: „Ich bin jetzt so lange dabei, aber jetzt, jetzt bin ich sprachlos.“

„Ich bin mir sicher, dass sich der Edgar da oben mächtig mitfreut“, sagt Wolf Nanke, Fürths Fanbeauftragter. Der Edgar, Vizepräsident Burkart, starb im Februar 2011, er war die Seele des Vereins und auf seine hintergründige, kluge und humorvolle Art sehr fürtherisch: mehr Sein als Schein. Ach, wer sich jetzt da oben mitfreut: Karl Mai, Held von Bern, gestorben 1993. Herbert Erhardt, WM-Teilnehmer 1954, der Ertl, Kapitän der Nationalmannschaft, starb 2010. Und Karl „Ossi“ Schmidt, der große Kapitän, der noch die Hinrunde dieser Aufstiegssaison miterlebte. Ossi starb im Januar – sein Enkel spielt jetzt in der Kleeblatt-Jugend.

22:02 Uhr: Zwei, noch zwei Minuten, jetzt nur noch eine Minute fünfzig, Dynamo am Ball, willkommen, Fürth, im Oberhaus, noch einsdreißig ohne Nachspielzeit und ...

... und schnell noch eine Anleitung für Leverkusener, Bremer und königsblaue Fans, für alle also, deren Mannschaften jetzt bald im Ronhof vorspielen dürfen: Nach einer langen und feuchtfröhlichen Zugfahrt beginnt ein schöner Bundesligasamstag nach Fürth im öffentlichen Toilettenhäuschen im Stadtpark, weil im modernisierten Bahnhof ein stilles Örtchen vergessen wurde. Zu Fuß geht es gemeinsam mit Fürthern durch den Wiesengrund, vorbei an der Charly-Mai-Sportanlage und dem Herbert-Erhardt-Sportfeld und auf dem Friedhof an den Gräbern von Erhardt, Mai, Schmidt und Burkart zum Sportpark am Ronhof, wo sie jetzt die Sektflaschen wieder hervorholen.

22.06 Uhr: Nachspielzeit, 2:1. Und Schluss, Helmut Hack sieht es im Hotel. „Ich will jetzt allein sein“, sagt er am Telefon, Büskens ist unter 27.000 Menschen in Dresden und sagt im Fernsehen: „Es ist ein historischer Tag für uns, die Unaufsteigbaren“; am Telefon sagt er: „Ich muss jetzt meine Familie anrufen“, und während vor dem Ronhof ein Feuerwerk beginnt, muss Azzouzi in Dresden laut ins Telefon sprechen, sehr laut: „Geil, geil, geil“, sagt er, „ein Wahnsinn“, und so sieht jetzt Fürth aus für den Rest der Nacht. Jetzt, sagt Kleeblatt Verteidiger Stephan Schröck, das Schröggla, wird die Stadt auseinandergenommen.

Und wie. Jetzt alle: Und dann gemma mit Gesang, tätärä / auf der Färdder Straß entlang, tätärä / und die Kutschn loumer rutschn ...