Kommentar

Corona-Bonus für Impfwillige: Gönnt den Menschen doch ihr Bratwurstweckla

15.8.2021, 15:54 Uhr

Das Bratwurst Röslein in Nürnberg belohnte Impfwillige mit Drei im Weckla. Die Aktion löste viele empörte Kommentare in den sozialen Netzwerken aus. © Marco Puschner

Wenn ich bei manchen polarisierenden Themen die Kommentarspalten bei Facebook oder Twitter lese, bin ich bisweilen hin- und hergerissen. Einerseits schmeichelt es meiner journalistischen Eitelkeit, wenn die eine oder andere Debatte so verläuft, wie ich es vorhergesagt habe. Andererseits macht es mir manchmal Angst, wenn eine Debatte so verläuft, wie ich es vorhergesagt habe.

Als ich das erste Mal von den Plänen von Röslein-Wirt Thomas Förster las, den ersten 200 Impfwilligen bei der Immunisierungsaktion vor seinem Lokal ein Bratwurstweckla zu spendieren, war mir schnell klar, dass das bei manchen Menschen für böses Blut sorgen wird. Von der Dimension des Shitstorms im Internet war ich dann aber doch überrascht.

Was da den Bürgern, die an diesem Samstag vor dem Nürnberger Traditionslokal für ihre Spritze und einen Gratis-Snack anstanden, da alles unterstellt wird: Sie würden sich kaufen beziehungsweise korrumpieren lassen, seien noch erbärmlicher als Prostituierte, und überhaupt gehe es bei einer solchen armseligen Gesellschaft todsicher mit Deutschland den Bach runter - das sind nur ein paar Auszüge aus den Reaktionen.

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Dazu noch die Beschwerden einiger Kommentatoren, die für ihre Impfung zu einem früheren Zeitpunkt nichts bekommen haben, während andere mit ihrer Immunisierung warten wollen. Vielleicht gehen die Preise ja noch ein wenig in die Höhe und man bekommt zum Bratwurstweckla noch ein Bier dazu. In letzterem Fall unterstelle ich den meisten Schreibern immerhin ein gewisses Maß an Ironie.

Win-Win-Situation für alle Beteiligten

Ansonsten aber kann ich nur sagen: Liebe Mitmenschen, kommt mal bitte wieder runter. Kaum jemand wird an einem Wochenende ausschließlich wegen "Drei im Weckla" den Weg in die Nürnberger Innenstadt auf sich nehmen, aber wenn er das medizinisch dringend Gebotene mit einem kleinen Bonus verbindet, dann ist es eine Win-Win-Situation - sowohl für den Einzelnen als auch für die Gesellschaft. Wenn nur ein einziger Teilnehmer dieser Aktion vor einer Infektion mit schwerem Krankheitsverlauf oder vor den Folgen von Long Covid bewahrt wird, hat sich die ganze Sache schon gelohnt.

Manche Menschen in ihren persönlichen Filterblasen scheinen auch zu verkennen, dass 3,50 Euro für "Drei im Weckla" für viele Personen und Familien mit kleinem Einkommen ein Haufen Geld ist. Aber statt dass man ihnen diesen kleinen Impfbonus gönnt, bildet man sich ein, auf finanziell schlechter gestellte Menschen herabschauen zu können.

Und für Grundsatzdiskussionen, ob ein paar Gutscheine fürs Karussell oder ein Freiticket für ein Fußballspiel ungerecht gegenüber jenen Bürgern seien, die sich schon früh haben impfen lassen, haben wir aktuell wirklich nicht die Zeit. Wir sind bereits in der vierten Welle, die hochansteckende Delta-Variante lässt die Infektionszahlen kontinuierlich nach oben steigen.

Der R-Wert ist wieder deutlich gestiegen

Zuletzt vermeldete das bayerische Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit in Erlangen einen R-Wert von 1,45 für den Freistaat. Obwohl inzwischen über 55 Prozent der Menschen im Freistaat vollständig gegen das Coronavirus geimpft sind, ist es nur eine Frage der Zeit, bis der epidemische Verlauf wieder die Phase des exponentiellen Wachstums erreicht. Der Vorteil der Impfungen wird durch die erheblich höhere Infektionsgefahr der Delta-Variante ausgeglichen.



Wer nicht geimpft ist, für den ist nicht mehr die Frage ob, sondern wann er sich mit Sars-CoV-2 infizieren wird - darin sind sich viele Fachleute inzwischen einig. Ähnlich wie die Grippe wird dieses Virus nie wieder komplett verschwinden, und wer nicht immunisiert ist, der wird irgendwann einmal in den kommenden Jahren zur falschen Zeit am falschen Ort sein und dann hoffentlich einen möglichst milden Verlauf haben.

Die Impfangebote müssen deshalb nun so niedrigschwellig wie möglich gestaltet werden. Mobile Impfteams müssen den Impfstoff zu den Menschen bringen, die anders nicht erreicht werden können. Impfbusse müssen immer wieder in abgelegenen Dörfern, vor Hochhaussiedlungen oder in Stadtteilen mit vielen Bürgern in prekären Lebensverhältnissen Station machen und die Menschen direkt in ihrem persönlichen Umfeld ansprechen, bis hier wirklich alle Möglichkeiten ausgeschöpft sind.

Um die Faulen und die Leichtsinnigen geht es jetzt

Hartnäckige Impfverweigerer und selbsternannte Querdenker dagegen wird man wohl auch jetzt nicht überzeugen können. Der steigende Druck auf Ungeimpfte erzeugt da nur Gegendruck und lässt die Gräben in unserer Gesellschaft noch tiefer werden. Auf den Zaudernden, den schlecht oder falsch Informierten und auch den Faulen und den Leichtsinnigen, die an Aufschieberitis leiden oder sich unverwundbar wähnen, muss deshalb in den kommenden Wochen der Fokus der Impfkampagnen liegen. Und wenn dabei ein Bratwurstweckla als zusätzlicher Anreiz winkt, gönnt es den Menschen doch bitte.