Zehn Gründe: Darum braucht Nürnberg den Titel Kulturhauptstadt

20.10.2020, 06:00 Uhr


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Endlich besser als München

Die haben mit Bayern München den finanzstärksten und erfolgreichsten Fußballverein im Land, die haben "unsere" Dürer-Werke und rücken sie dann nicht mal für Sonderausstellungen raus.

Die Landeshauptstadt glänzt mit vielen staatlichen Museen, von denen Nürnberg mit dem Ableger des Deutschen Museums (und nach dem Neuen Museum) jetzt gerade mal ein zweites bekommt. Vom Titel einer Kulturhauptstadt kann München nur träumen. Nürnberg zumindest schonmal darauf hoffen.

Neue Gespanne

In einer stärkeren Zusammenarbeit der vielen Institutionen in der Region liegt großes, bislang ungenutztes Potenzial. Diese Kooperationen über ganz verschiedene Betätigungsfelder und Branchen hinweg würden durch den Kulturhauptstadt-Titel beflügelt und dauerhaft gefestigt — zum Nutzen aller und einer in jeder Hinsicht potenten und kreativen Region. Da werden jetzt zum Beispiel die Handwerkskammer, die Nürnberger Symphoniker und die Datev für ein Soundfestival zusammengespannt, das GNM, die Uni Erlangen-Nürnberg und das Hirtenmuseum Hersbruck zum Aufspüren "Versteckter Schätze". Von denen gäbe es gemeinsam unendlich viele zu heben.

Rekordjahre wie das Ruhrgebiet

Klar, Nürnberg ist schon jetzt eine der Top-Ten-Reiseadressen in Deutschland. Zumindest nach absoluten Zahlen. Die meisten der 3,56 Millionen Übernachtungsgäste im Jahr 2019 aber kamen nicht wegen der Sehenswürdigkeiten, der landschaftlich schönen Umgebung oder des kulturellen Angebots, sondern aus beruflichen Gründen zu Messen, Meetings, Konferenzen. Um es in Zahlen zu sagen: 70 Prozent sind Geschäftsreisende. Sie verbringen im Durchschnitt nur maximal zwei Tage in der Stadt. Das heißt: Lediglich 30 Prozent sind Urlauber, die Nürnberg als Ziel für eine Städtereise wählen. Das würde der Titel als Kulturhauptstadt ändern und Nürnberg in die Köpfe von Kultur-Reiseveranstaltern und Individualreisenden bringen.

Das Ruhrgebiet, 2010 letzte deutsche Kulturhauptstadt Europas, hat es vorgemacht: Die Tourismuszahlen steigen seither kontinuierlich an. 2009 gab es im Ruhrgebiet rund 5,8 Millionen Übernachtungen, im Kulturhauptstadtjahr 2010 waren es bereits 6,5 Millionen. Es folgte eine konstante Steigerung um insgesamt 32 Prozent auf zuletzt über 8,6 Millionen im vergangenen Jahr. Die Zahl der ausländischen Besucher ist dabei überproportional um knapp 40 Prozent gewachsen auf zuletzt rund 1,5 Millionen. Das Ruhrgebiet verzeichnet das zehnte Tourismus-Rekordjahr in Folge.

Millionen für Umbauten

Machen wir uns nichts vor: Ohne den Titel und die damit verbundenen Millionen an öffentlichen Geldern werden die schönen Pläne für ganz neue oder neu gestaltete Kulturräume – noch dazu in der Corona-Krise, die den städtischen Haushalt belastet – so nicht realisiert werden können. Natürlich wird die Stadt auch ohne den Titel versuchen, die Entwicklung der Kongresshalle als Kunst- und Kulturraum voranzubringen, die Einrichtung des Haus des Spielens im Pellerhaus weiterverfolgen und die Umgestaltung der Alten Feuerwache zu einem Zentrum der Kreativwirtschaft in Angriff nehmen. Verspricht man zumindest. Eine "Niederlage" am 28. Oktober aber dürfte den Schwung dafür nehmen — und vor allem die Mittel.

Das Image wandeln

Nein, das Image von Nürnberg ist nicht schlecht. Aber das Bild von der Stadt ist im Allgemeinen doch sehr verengt auf die Vergangenheit — mit all ihren leuchtenden und dunklen Aspekten, von glanzvollen Zeiten in der Renaissance bis zu den Reichsparteitagen der Nationalsozialisten und den Kriegsverbrecherprozessen unmittelbar danach. Als Kulturhauptstadt hat Nürnberg die Chance, dieses Bild um weitere starke Facetten zu ergänzen, sein Image zu wandeln hin zu einer geschichtsbewussten, aber dennoch modernen Stadt.

Die Welt als Stammgast

Als Messestadt und Universitätsstandort, als Sitz großer, weltweit agierender Unternehmen ist die Metropolregion international vernetzt. Im Kulturbereich ist sie das bislang noch nicht so stark. Das wird ein Titelgewinn ändern. Zu jedem Projekt steuern internationale Partner ihre Expertise bei, was zu langfristigen neuen, fruchtbaren und weltweiten Kooperationen führt, die das kulturelle, gesellschaftliche, wissenschaftliche Leben und auch den Wirtschaftssektor bereichern.

Programm für alle

Die Kulturpolitik hat die Hochkultur, die Stadtteilkultur und die Umsonst-Eventkultur mit Klassik-Openairs oder Bardentreffen in der Stadt gepflegt — damit aber trotzdem nur einen unbefriedigend kleinen Teil der Bevölkerung erreicht. Das muss sich ändern. Dafür bietet das geplante Programm für 2025 mit seinem breiten Kulturbegriff eine Vielzahl an erfolgversprechenden Maßnahmen, die ohne den Titel in dem Umfang nicht kommen werden.

Stärkeres Wir-Gefühl

3,6 Millionen Menschen leben in der Metropolregion. Als eine große Einheit empfinden sie sich nicht. Wie auch? Zwischen Kronach und Solnhofen liegen 200 Kilometer, zwischen Feuchtwangen und Waldsassen sogar noch ein paar mehr. Und nicht nur Straßenkilometer trennen die Menschen in den 23 Landkreisen und 11 kreisfreien Städten. Über ein gemeinsames Kulturhauptstadtjahr könnte die Region zusammenwachsen, ein neues Wir-Gefühl von Ober- und Mittelfranken, Unterfranken und Oberpfälzern entwickeln und Nachbarschaften mit Stolz und Emotion neu pflegen.



Zurück in die Zukunft

Lang ist’s her: Vom 15. bis zum 19. Jahrhundert galt Nürnberg wegen der weitläufigen Handelstätigkeit seiner Kaufleute, wegen seinen Exporterzeugnissen aus Metall und seiner überaus blühenden Buch- und Graphikproduktion, wegen seiner qualifizierten Künstler und Handwerker quasi als das Zentrum Europas. Diese Stellung hat es eingebüßt. Der Kulturhauptstadttitel würde die Stadt ins Zentrum Europas zurückkatapultieren.

Druckmittel, um dranzubleiben

Die freie Kulturszene, also die vielen Kindertheater und Tanzcompagnien, Maler oder Musikerinnen fühlen sich in Nürnberg nicht ausreichend beachtet, gefördert und gehört. Zudem sind sie von der Corona-Pandemie und ihren Folgen ganz besonders betroffen. Die Stadt hat im Zuge der Kulturhauptstadtbewerbung erste wichtige und richtige Schritte getan, um die freie Szene besser zu unterstützen. Käme der Titel, würde das den Druck erhöhen, da dranzubleiben und noch deutlich mehr zu tun.