"Brandgefährlich": Virologe Kekulé kritisiert Lockerungen scharf

6.5.2020, 11:15 Uhr

In einem Podcast mit dem MDR klärt der Virologe Alexander Kekulé klärt regelmäßig Fragen zur die Corona-Krise. © MDR

Die Menschen in Deutschland können sich auf erhebliche Lockerungen der Beschränkungen in der Corona-Krise einstellen - bei Schule, Kita, allen Geschäften und im Sport. Einige dieser Pläne sind bereits vor den Beratungen von Kanzlerin Angela Merkel mit den Regierungschefs der Länder am Mittwoch durchgesickert.

Alexander Kekulé, der zu den bedeutendsten Virologen im Kampf gegen die Corona-Pandemie in Deutschland zählt, äußerte sich nun in einem Gastbeitrag auf "Zeit online" äußerst kritisch zu den geplanten Maßnahmen.

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Zwar räumt er ein, dass der Lockdown im Begriff sei, das wirtschaftliche, soziale und politische Leben in Deutschland zu zerstören, dennoch dürfe die Politik die Kontaktbeschränkungen erst lockern, sobald alternative Schutzmaßnahmen installiert wurden.

Die Strategie des Bundes mit dem Titel "Beschleunigen und Bremsen", also Eingriffe in Intervallen angepasst an die Lage, bezeichnet er in dem Beitrag als "geradezu brandgefährlich". Denn: Das neue Virus werde über Monate oder Jahre auf dem Erdball zirkulieren. Deshalb müsse damit gerechnet werden, dass die Fallzahlen für Covid-19 im Herbst wieder deutlich ansteigen. "Bis dahin wird es keine Herdenimmunität, keinen Impfstoff und wahrscheinlich auch keine lebensrettende Therapie geben", argumentiert Kekulé. Er schätzt, dass bis zur Eindämmung der Pandemie noch mindestens eineinhalb Jahre vergehen werden.

"Unser gefährlichster Gegner ist die Zeit"

Zugleich sei das Konzept im Hinblick auf die unmittelbaren Gesundheitsfolgen von Covid-19 hochriskant, da die Lockerung der Kontaktbeschränkungen einen unmittelbaren Anstieg der Neuinfektionen und Todesfälle nach sich ziehen. Insbesondere die Öffnung von Kindertagesstätten und Grundschulen kritisiert der Virologe scharf. Sie sei "zwangsläufig mit einer Zunahme der epidemischen Aktivität verbunden", beruft er sich auf Erkenntnisse der spanischen Grippe. Kinder in diesem Alter durch Mundschutz und Hygieneerziehung vor Infektionen zu schützen sei illusorisch und hätte das "Potenzial, eine ganze Generation psychisch zu traumatisieren", so der Wissenschaftler.

Vor allem, dass die Lockerungen für Gastronomie, Verkaufsräume, Schulen und weitere Bereiche in allen Bundesländern nahezu gleichzeitig erfolgen sollen, schätzt Kekulé als "zusätzliches Wagnis" ein. Sollte sich die Politik im Sommer zu unvorsichtigen weiteren Lockerungen hinreißen lassen, könnte im Herbst ein "viraler Orkan" entstehen. Anstelle überschneller Lockerungen, stellt der Virologe dagegen eine Vier-Phasen-Strategie vor, die vor allem auf dem Prinzip S.M.A.R.T. beruhen soll: Schutz der Risikogruppen, Masken, Aufklärung des Infektionsgeschehens, reaktionsschnelle Nachverfolgung und Tests.



Viele dieser Bereiche sieht er in Deutschland jedoch nicht gut genug abgedeckt. So wüsste das Robert-Koch-Institut (RKI) aktuell beispielsweise nicht, welcher Berufsgruppe die gemeldeten Covid-19-Fälle angehörten oder ob in einer Region gemeldete Corona-Ausbrüche im Zusammenhang miteinander stünden. Vor allem der konventionellen Nachverfolgung der Corona-Infektionen sollte mehr Priorität eingeräumt werden, so Kekulé - anstatt auf die Einsatzbereitschaft einer Tracing-App zu hoffen.

Seinen Beitrag beendet Kekulé mit einem wichtigen Appell an die Bundesregierung: "Unser gefährlichster Gegner in der Pandemiebekämpfung ist nicht das Virus, sondern die Zeit". Eine Pandemie habe laut dem Experten die "Dynamik einer Explosion". Jetzt müsse das Ziel sein, ein effektives Schutzkonzept für die Phase nach dem Lockdown zu installieren.


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