Patriots gegen Eagles: Der ewige Brady und die Underdogs

2.2.2018, 18:24 Uhr

Hunde, die bellen, beißen nicht - die Philadelphia Eagles um Beau Allen (li.) und Chris Long kommen mit der Underdog-Rolle aber gut klar. © Patrick Smith/Getty Images/AFP

Eine Stadt im Ausnahmezustand: 69.000 Zuschauer feiern im Lincoln-Financial-Field Philadelphias ersten Playoff-Heimsieg seit elf Jahren. Die Eagles haben soeben ihre erste Playoff-Partie gegen die Atlanta Falcons, eine Defensivschlacht, mit 15:10 gewonnen. Dieses Philadelphia-Team ist spätestens seit diesem Moment untrennbar mit der Underdog-Rolle verbunden - nicht nur, weil Spieler Hundemasken trugen und dafür sorgten, dass im Umkreis von mehreren hundert Kilometern keine solchen Masken mehr verfügbar waren.

Obwohl sie 13 ihrer 16 Hauptrunden-Spiele gewannen und als an Nummer eins gesetztes Team in die Playoffs gingen, waren die Eagles der Außenseiter. In der Underdog-Rolle fühlten sie sich auch eine Woche später gegen die Minnesota Vikings wohl, und im Super Bowl am Sonntag schicken sie sich an, den dritten Sieg in Folge als Außenseiter zu holen. Ihr größtes Problem: Sie treffen am Sonntag nicht nur auf den vielleicht besten Quarterback aller Zeiten, sondern auch auf dessen ebenfalls hochdekorierten Trainer, der bei den Patriots das System in den Vordergrund stellt.

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Die New England Patriots als gut geölte Maschine zu bezeichnen wäre eine Untertreibung. Das Team aus Massachusetts ist seit dem Beginn der Ära Belichick/Brady im Jahr 2000 das Nonplusultra in der NFL. Kein Team gewann in diesem Zeitraum mehr Spiele, kein Team erreichte öfter den Super Bowl und kein Team gewann ihn häufiger. Die Patriots sind zum Superlativ geworden. Der fleischgewordene Erfolg, das Gesprächsthema aller Neider. Fakt ist aber auch: All das hat sich das Team, angeführt von seinem Erfolgs-Duo, selbst erarbeitet. Bei all den negativen Wesenszügen der Meister-Maschinerie, die sich in der Vergangenheit immer wieder an der Grenze des Erlaubten bewegte, muss anerkannt werden, dass von Belichick trainierte Mannschaften akribisch an den Details arbeiten. Auch Brady, dessen verlängerter Arm auf dem Feld.

Tom Brady ist inzwischen 40 Jahre alt. Nur wenige Quarterbacks sind in diesem Alter noch in der Liga, noch deutlich weniger sind überhaupt noch relevant. Der Patriots-Spielmacher ist aber viel mehr als das – Experten halten den 40-jährigen Brady sogar für den besten Brady aller Zeiten. In der Doku "Tom vs Time", die seit einigen Tagen exklusiv bei Facebook zu sehen ist, bekommen Außenstehende einen Eindruck, warum das so ist. Stundenlang sitzt dieser zu Hause vor dem Fernseher und studiert "Game Tape". Aufnahmen von Spielzügen der eigenen Offensive, aber auch von der Defensive des Gegners. "Ich könnte das buchstäblich den ganzen Tag tun. Es ist schon fast beruhigend", erklärt er. Kritiker in den unzähligen US-Sport-Talkshows nennen nennen das Besessenheit. Wer den Patriots wohlgesonnen ist, hält das für Liebe zum Detail.

Die Saison der Patriots begann holprig. Zum Auftakt setzte es eine deutliche Niederlage gegen die Kansas City Chiefs, bei der vor allem die Defensivleistung enttäuschte. Aber die Patriots wurden im Verlauf der Saison, so wie sie das unter Belichick fast immer taten, besser. Zum Ende der NFL-Hauptrunde wurden Gerüchte laut, wonach sich der Headcoach mit seinem Quarterback verstritten hätte. Eine Patriots-Zukunft mit dem kongenialen Duo schien ausgeschlossen. Doch anstatt das Ende einer beispiellosen Erfolgsserie einzuläuten, machte das Team aus Foxborough das, was es am besten kann – gewinnen. In der zweiten Playoff-Runde erledigten die Patriots die Tennessee Titans im Schongang, eine Woche später holte New England einen Zehn-Punkte-Rückstand im letzten Viertel auf und warf die Jacksonville Jaguars raus. Niemand in dieser Liga spielt in schwierigen Situationen so gut, so effektiv wie die Patriots. 

Der Schlüssel zum Patriots-Erfolg ist die Disziplin. In Belichicks System tut jeder das, was er soll. Wenn nicht, muss er auf die Bank - egal, welcher Name hinten auf dem Trikot steht. Tight End Rob Gronkowski, gemeinhin als Lebemann bekannt, hat sich während der Saison voll im Griff und ist Bradys zuverlässigste Anspielstation. Das wissen auch die Gegner, die besonders hart gegen ihn verteidigen. Belichick und Brady dosieren deswegen sehr vorsichtig, wie oft "Gronk" den Ball bekommt. Im AFC-Championship-Spiel zog dieser sich eine Gehirnerschütterung zu, wird am Sonntag aber dennoch spielen. Mit Brandin Cooks, Danny Amendola oder James White, der im Vorjahr den spielentscheidenden Touchdown im Super Bowl erzielte, hat Brady ohnehin noch weitere hochkarätige Optionen. Etwas kränklich kommt dahingegen die Defensive New Englands daher. In vielen Statistiken ist die Verteidigung der Patriots nur trauriges Mittelmaß, provoziert zum Beispiel nicht viele Ballverluste des Gegners. Am Ende steht aber dennoch eine Einheit, die es schafft, ihrer Offensive die Möglichkeit zu geben, Spiele spät zu gewinnen.

Der Matchplan der Eagles wird sich deshalb nicht sonderlich von dem unterscheiden, mit dem die Atlanta Falcons in Super Bowl LI oder die Jacksonville Jaguars ins Halbfinale gegen die Patriots gegangen sind. Viel Ballbesitz und damit die eigene Offensive spielen lassen, Zeit von der Uhr nehmen, die Patriots-Offensive vom Feld halten und defensiv dem hohen Druck New Englands standzuhalten. Das große Problem des NFC-Champions dabei? Ihr Quarterback und MVP-Kandidat Carson Wentz riss sich im Dezember das vordere Kreuzband und wird auch für den Super Bowl ausfallen. Erstaunlich war dabei aber, dass die Eagles diesen Ausfall nahezu ohne Qualitätsverlust kompensierten - und das mit Nick Foles, einem allenfalls durchschnittlichen Spielmacher.

Foles spielte 2013 eine herausragende Saison für Philadelphia, wurde aber nur ein Jahr später von den Eagles aussortiert, weil er keine Option für die Rolle des Starters ist. Nach enttäuschenden Jahren in St. Louis und Kansas City kehrte der inzwischen 29-Jährige wieder in die "City of brotherly love" zurück, diesmal als Nummer zwei. Er profitiert von einer starken Offensive-Line vor ihm, die ihm die Verteidiger vom Hals hält und damit Zeit gibt, seine Pässe an die Mitspieler zu bringen. Zudem kann er voll und ganz auf seine Runningbacks, LeGarrette Blount und Jay Ajayi zählen. Blount kam vor der Saison von den Patriots zu den Eagles, gewann mit New England zwei Super Bowls. Und Ajayi verpflichtete Philadelphia für gefühlt eine Tüte Kartoffelchips (einen Viertrunden-Pick) aus Miami. 

Zudem schaffen es die Eagles so gut wie kein anderes Team der Liga, gegen den Lauf zu verteidigen. Das zwingt den Gegner zu mehr Pässen und damit auch zu mehr Risiko. Insgesamt sind sich die Experten einig: Das talentiertere Team hat Philadelphia zu bieten, Eagles-Coach Doug Pederson gilt zudem als eine der Entdeckungen der Saison - von der Akribie und Erfahrung eines Belichick ist er allerdings noch weit entfernt. Entscheidend wird sein, ob Quarterback Foles es schafft, im größten Spiel seiner Karriere die Ruhe zu bewahren und die Patriots-Offensive unter Druck zu setzen. Nur dann kann der Underdog seine Chance nutzen und New England, Belichick und Brady vom sechsten Titel ihrer gemeinsamen Erfolgsgeschichte fernhalten. Und vielleicht eine eigene starten, in einer Stadt im Ausnahmezustand - und voller Hundemasken.