Ortlieb und Held sind Bayerische Meister

Petanque-Duo des TV Fürth 1860 gelingt die kleine Sensation

29.8.2021, 17:39 Uhr

Von außen sieht Boule nach einem gemütlichen Rentnersport aus. Hier und da ein Pläuschchen, dazwischen eine Kugel werfen und wieder darüber diskutieren.


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Doch wer schon einmal einen ganzen Turniertag mitgemacht hat, weiß, was Nils Ortlieb meint, wenn er sagt: "Das ist sauanstrengend, das glaubt mir keiner zuhause."

Der 49-Jährige ist ein erfahrener Spieler. Seit 30 Jahren widmet er sich dem Boule oder Petanque, wie es auch heißt. Zunächst an seinem Studienort Hamburg in der Bundesliga, seit dem berufsbedingten Umzug in Fürth. Er war noch dabei, als am Lim-House in der Gustavstraße die "Spielgemeinschaft Lim" trainierte. Seit 2012 sind die Boulespieler eine Abteilung des TV Fürth 1860 mit eigenem Gelände am Europakanal.

Dort ist Nils Ortlieb Spielertrainer der ersten Mannschaft, im echten Leben ist der Sozialpädagoge einer der beiden Geschäftsführer der Lebenshilfe Fürth und hat die Verantwortung für 550 Mitarbeiter. Zwei- bis dreimal ist pro Woche Training oder ein Spieltag angesetzt, mit der ersten Mannschaft tritt er in der höchsten bayerischen Spielklasse, der Bayernliga, an.

Neulinge mit Anfängerglück

Auf die Frage, was denn einen guten Spieler ausmache, antwortet er mit einem Zitat, das er einmal aufgeschnappt hat: "Boule ist leicht zu lernen, aber schwer zu gewinnen." Die Qualität definiere sich über die Konstanz. Nach Spieltagen, die schon mal zwölf Stunden dauern können, lässt bei Neulingen mit Anfängerglück irgendwann die Konzentration nach – und die Spreu trennt sich vom Weizen.

"Gewinnen kann man nur, wenn man viel gute Kugeln hinlegt und die entscheidenden wegschießt", beschreibt es Ortlieb. Bei der Bayerischen Meisterschaft, die sein Partner Johannes Held – der Cadolzburger ist der Kassenprüfer der Abteilung – und er jüngst gewannen, mussten die beiden von 10 bis 22 Uhr konzentriert bleiben, in sieben Spielen von durchschnittlich eineinhalb Stunden Dauer.

Um solch eine Ausdauerleistung auch bei großer Hitze zu erbringen, stählen sich die besten Spieler nicht nur mit Joggen. "Es gibt auch psychologische, taktische und mentale Trainingsformen", erklärt Ortlieb, "Sportpsychologie hat bei uns einen großen Einfluss." In einem ähnelt Boule dem Schach: Gute Schachspieler haben möglichst viele mögliche Anfangs- und Endformationen eines Spiels im Kopf, um stets eine Antwort auf die Aktion des Gegners parat zu haben.

Im Boule spricht man von "Kugelbildern", also der Konstellation der Kugeln rund um das "Schweinchen", dem man mit seinen Würfen möglichst nahe kommen möchte. Wer also die Lösung bereits im Kopf hat, wenn ein "Kugelbild" auftritt, muss nicht jedes Mal von Neuem grübeln, sondern ruft einfach die richtige Reaktion in seinem Kopf ab. "Das fasziniert mich an dem Sport", schwärmt Ortlieb, "ich kann bis ins hohe Alter dazulernen. Ich mit knapp 50 oder auch mein Partner, der älteste Bayerische Meister, mit über 70."

Bayernligist war nicht Favorit

Das Einprägen der Kugelbilder ist nur ein Versuch, das Spiel kalkulierbar zu machen – letztendlich aber sind Überraschungen programmiert. "Als Bayernligaspieler waren wir bei der Meisterschaft nicht in der Topfavoritenposition", hält Ortlieb die Kugel flach. Andere Teilnehmer lagen in der deutschen Rangliste weit vor den beiden Fürthern im Doublette.

"Wir sind zwar so erfahren, dass wir den einen oder anderen ärgern können. Aber dieser Erfolg ist außergewöhnlich, denn wir haben Bundesligaspieler geschlagen, Bayernkaderspieler, einen mehrfachen Bayerischen Meister und einen deutschen Nationalspieler im Finale. Wir haben einfach einen guten Tag erwischt." Im Boule sagen sie: Sie hatten den Flow. Mit dem Titel haben sie sich für die Deutsche Meisterschaft qualifiziert – wo und wann, ist noch nicht terminiert.



"Ich fürchte fast, dass sie Corona zum Opfer fallen wird", sagt Ortlieb. Neuland wäre es ohnehin nicht für den TV Fürth 1860, viermal nahm Ortlieb schon daran teil. In diesem Jahr sind Turniere rar gesät, coronabedingt waren der Verband und die Veranstalter zurückhaltend. Trotzdem durften auch die Frauen der 60er jubeln: Sie setzten sich gegen drei weitere Teams im Triplette bei der Bayerischen Meisterschaft durch. Alles eine Frage der Konzentration und der Ausdauer.