Tief im Walde, da steht ein Schützenhaus

31.8.2020, 19:11 Uhr
Tief im Walde, da steht ein Schützenhaus

© Foto: Verlag Andro (Sammlung Sebastian Gulden)

In Hochsommertagen, da die Sonne erbarmungslos herniederbrennt, erinnert sich manch vor Hitze trandösiger Städter an eine alte Binsenweisheit: Im Sommer ist’s im Walde kühler als auf freiem Felde, und allemal kühler als in der Stadt. Und so strömen die Menschen in Massen aus der Beton- und Pflasterwüste hinaus ins Grüne.

Tief im Walde, da steht ein Schützenhaus

© Foto: Boris Leuthold

Für die Privilegierte Hauptschützengesellschaft Nürnberg von 1429 war der Rückzug in die Waldeinsamkeit weniger dem Wunsch nach erfrischender Kühle geschuldet, als dem puren Zwang: Erst hatte die Kirchengemeinde die Schützen 1856 aus ihrem historischen Haus im Osten des Johannisfriedhofes hinauskomplimentiert (die Friedhofsruhe!); 1874 stand der nächste Umzug an, diesmal aus Platzgründen, und zwar vom heutigen Stadtpark an den Luitpoldhain. Doch auch dort waren die Schützen den Anwohnern spätestens 1907, als sich Stadt und öffentlicher Park bis an die Grundstücksgrenze des Vereinsheimes ausgedehnt hatten, ein Dorn im Auge und vor allem in den Ohren.

Die Gefahr, dass die Stadt und ihre ruhebedürftigen lebenden und toten Bewohnerinnen und Bewohner sie nochmals einkreisen und Ansprüche anmelden würden, vermied die Gesellschaft bei der Standortwahl ihres neuen und vorläufig letzten Heimes nach bester Möglichkeit: Draußen auf einer Lichtung des Sebalder Reichswaldes im Norden von Erlenstegen sollte niemand anderes mehr bauen dürfen. So ist es bis heute geblieben; allein das städtische Tierheim und das Krankenhaus Martha-Maria, das 1965 in die nahe Stadenstraße zog, sind der Schützengesellschaft mit gut 100 Metern Abstand auf die Pelle gerückt.

Moderne Schießsportanlage

Tief im Walde, da steht ein Schützenhaus

© Grafik: Emil Stahl (Sammlung Sebastian Gulden)

1910 legte der renommierte Nürnberger Architekt Hans Müller die Pläne für das Schützenhaus vor, die bis 1911 zur Umsetzung kamen. Mit Baukosten von stolzen 360 000 Mark (Gegenwert heute rund zwei Millionen Euro) gehörte es zu den größten und modernsten Schießsportanlagen des Deutschen Reiches. Zwischen den Garten und die Schießstände, an denen sich die Mitglieder in der Bedienung von Gewehren und Pistolen übten – Rehbock- und Tontaubenschießen inklusive –, legte Müller das Wirtschaftsgebäude. Der Komplex umfasste neben einer Gaststätte ein Museum und je eine Wohnung für den Gastwirt und den Oberzieler, der den Schützen ihre Treffer an den Zielscheiben mitzuteilen und die Anlage in Stand zu halten hatte.

Tief im Walde, da steht ein Schützenhaus

© Foto: unbekannt (Sammlung Sebastian Gulden)

Statt einem großen Einzelgebäude untergliederte Müller das Vereinsheim in eine "lebhaft bewegte Baugruppe", wobei die einzelnen Baukörper allesamt zu dem zweigeschossigen Wirtshaus als dem höchsten und dominierenden Element hinstreben. Im Sinne der populären Reformarchitektur wirkten die Bauteile vor allem durch ihre abwechslungsreichen Kubaturen mit belebendem Licht- und Schattenspiel und reizvollen Details wie Arkaden, mit Sprossen unterteilte Fenster mit farbig gefassten Holzläden, Kunstschmiede-Blumenkastengitter, Schornsteine, verschiedene Dachformen, Dachreiter, dem Portikus des Schützenmuseums und dem Strukturputz der Fassaden. Da nur punktuell eingesetzt, kommen die skulpturalen Elemente wie das Sandsteinrelief mit dem Namen der Schützengesellschaft am Gasthaus noch besser zur Geltung. Für den Vorplatz an der Südostseite fertigte der Bildhauer Philipp Kittler einen Brunnen, dessen Wasser den Schnauzen von vier Jagdhunden verschiedener Rassen entströmt. Obenauf thront wie König Eierbatz ein nackerter Juniorschütze mit gesenkter Armbrust.

Tief im Walde, da steht ein Schützenhaus

© Foto: unbekannt (Sammlung Sebastian Gulden)

Die betuliche, tiefenentspannte Haltung, die dem malerischen Ensemble inmitten der Waldesruh anhaftet, täuscht leicht darüber hinweg, dass die Reformarchitektur mit ihrem Verzicht auf allen scheinbar unnötigen Schnickschnack eine Wegbereiterin der modernen Baukunst war. Und darüber, dass nur wenige Jahre nach Vollendung des Schießhauses der Erste Weltkrieg ausbrach (der, wie der großartige Fredl Fesl schon bemerkte, "der schönste (war), den’s überhaupt je gegeben hat").

Tief im Walde, da steht ein Schützenhaus

© Foto: Sebastian Gulden

Dennoch: Es ist Balsam für die Seele aller Altbaufreunde, dass die Schützengesellschaft und die Pächter der Gastwirtschaft dafür gesorgt haben, dass die Gebäude und ihre kostbare Inneneinrichtung bis heute weitgehend im originalen Zustand erhalten geblieben sind. Ob man nun ein Freund des Schießsportes ist oder nicht, es ist ein Ort, an dem Freunde der Baukunst und der kühlen Waldesruh auf ihre Kosten kommen.

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