Legendäres Wohnzimmer der alten Kleeblattstadt
07.01.2015, 21:00 UhrMit rund 2300 Plätzen gehörte der 1896 eingeweihte „Geismann‘sche Salvator- und Concertsaal“ zu den größten Versammlungsstätten im Nürnberg-Fürther Raum. Hier feierte die SpVgg 1914, 1926 und 1929 ihre Deutschen Meisterschaften. Das Versandhaus Quelle und das Modehaus Fiedler präsentierten in dem 42 mal 20 Meter großen Raum die neueste Mode. Boxkämpfe, Wahlveranstaltungen, Faschings- und Valentinsbälle, Konzerte, Friseurmeisterschaften, Messen und Ausstellungen unterstrichen den universellen Nutzen der Adresse als Zentrum des öffentlichen Lebens.
Das alles wurde jedoch in den Schatten gestellt vom alljährlichen Starkbierfest. Schon die Premiere lockte mehr als 34 000 Trinkfreudige an. Der Poculator wurde zu einem illustren Fürther Markenzeichen von überregionaler Ausstrahlungskraft. 1982 ging diese große Ära in einer gewaltigen Staubwolke unter. Der Geismannsaal, dessen Blüte längst vorbei war, wurde – wie auch die übrigen Bauereigebäude einschließlich der mehrstöckigen Kellergewölbe – für den Bau des City Centers samt Tiefgarage als Atomschutzraum geopfert. Zeitgleich öffnete am Rande des abgerissenen und neu bebauten Gänsbergviertels die Stadthalle als modernes Kulturzentrum ihre Pforten. Eine unverwechselbare Fürther Duftnote wie der Geismannsaal hat sie allerdings nie bekommen. Auch die MTV-Grundig-Halle konnte sich nicht als Geismannsaal-Ersatz etablieren. Von 1919 bis zum Abriss hatte schließlich die Pächterfamilie Most dem Geismannsaal ihren persönlichen Stempel aufgedrückt.
Eine Zäsur markierte der Zweite Weltkrieg: 1943 zerstörte eine verirrte Luftmine den prachtvollen Jugenstilsaal. Brauerei, Stadt und Pächter nahmen gemeinsam den Wiederaufbau in Angriff. Unter Verwendung von Ruinenteilen entstand der 1947 eröffnete neue Saal an der Alexanderstraße. Schnörkellos und mit Kieferndielen statt Eichenparkett. Doch das Comeback war grandios.
Gert Kuntermann, Mitglied der Fürther Geschichtswerkstatt, präsentiert in seinem Bildband die Geschichte des Geismannsaals aus erster Hand. Sein Großvater Fritz Nürnberger war in der Nachkriegszeit Geschäftsführer bei Pächter Emil Most. Seine Großmutter Anni Nürnberger arbeitete am Büfett. Die Erinnerung an die mit sogenannten Kraftbändern an den Unterarmen ausgestatteten Spüler, den Ausschank gegen Biermarken, die Essensausgabe im Akkord, die Hektik hinter den Kulissen hat sich Kuntermanns kindliches Gedächtnis als Erinnerung an den Poculator eingeprägt.
Pony auf der Treppe
Ebenso der Auftritt eines Ponys bei den Valentinsbällen. Um es die Treppe hinaufzubekommen, verpasste man dem Tier Gummischuhe. Weil die Lüftung nie funktionierte und ein Rauchverbot noch jenseits der Vorstellungskraft lag, war bei Großveranstaltungen die Saaldecke ab 20 Uhr vor lauter Rauchschwaden nicht mehr zu erkennen. Manch einer verdrückte sich zum „Luftschnappen“ mit dem Maßkrug auf die Toilette.
Zu den Aufgaben des Jungen gehörte es, Gummiknüppel und Mützen mit der Aufschrift „Hauspolizei“ an Saalordner auszufahren, die oft aushilfsweise benötigt wurden. Kuntermann erinnert sich an die Schießbude neben der Bühne und an den Kiosk neben den Toiletten, auch daran, dass der Geismannsaal in den 1970er Jahren zum Auftrittsort der Rockszene wurde. Sein Nachruf auf das legendäre Fürther Wohnzimmer ist im städtebilder-Verlag von Lothar Berthold erschienen. Berthold hat die Kapitel zu den Beat- und Rockkonzerten und zum Ende des Saales beigesteuert.
Der Fürther Geismannsaal, Gert Kuntermann, Herausgegeben von der Fürther Geschichtswerkstatt, städtebilder Verlag, 100 Seiten, 19,80 Euro.
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