Vergänglichkeit des Menschen auf Handyfotos

15.6.2009, 00:00 Uhr
Vergänglichkeit des Menschen auf Handyfotos

© Hofmann

Es ist still in dem monumentalen Gebäude an der Krankenhausstraße, das seit 1895 das Anatomische Institut der FAU Erlangen-Nürnberg beherbergt. Ein Haufen weißer Gipseier im Bereich des ersten Treppenabsatzes lässt den Besucher stutzen. Einige der Ovale sind unversehrt, andere die Steinstufen herabgerollt und in Tausende Einzelteile zerborsten.

Die Szenerie spiegelt die Zerbrechlichkeit und Vergänglichkeit wider, erklärt die Nürnberger Kunststudentin Aenne Bittner ihr gelungenes Werk. Besucher sollten keinen Bogen um das Exponat «Ovulation» machen, sondern ruhig auf die Schalen treten, animiert der Direktor des Anatomischen Instituts I und treibende Kraft hinter der Ausstellung, Winfried Neuhuber.

Der Weg in den zweiten Stock führt vorbei an einer Buntstiftzeichnung, in der Künstlerin Susanne Habermann ihren 2005 an Magenkrebs verstorbenen Vater porträtiert hat. Das Bild «zeigt einen Menschen, in dessen Gesichtszüge sich der Krebs gefressen hat. Man sieht die Müdigkeit, den Kampf, seine Wunden. Und doch lächelt er», resümiert die Malerin. «Man sieht uns allen unsere Wunden an, auch wenn wir sie manchmal nicht zugeben.» Die bereits zum vierten Mal stattfindenden «KunstINFEKTE» haben ihr Konzept verändert. Erstmals wurden auch überregionale Künstler eingeladen, wie etwa Dieter Heitkamp. Der Frankfurter Professor für Zeitgenössischen Tanz hat seine beiden Hüftoperationen und den Heilungsverlauf in zwei «Rundbriefings» mit zahlreichen Handyfotos und E-Mails dokumentiert.

Ein blutiges Buch

Weiteres Novum: Die Veranstalter haben die Schau heuer einem Thema unterstellt, das auf eine Installation von Joseph Beuys aus den Jahren 1974/75 in einem klinisch anmutenden Ambiente anspielt. So sollen die «KunstINFEKTE» mögliche Verbindungen zwischen den Wortfeldern Wunden und Wunder(n) ausloten, sagt Neuhuber. Makabrer Höhepunkt der Ausstellung ist ein mit literweise Tier- und Menschenblut gestaltetes Nacht- und Tagebuch in Collagentechnik. Das mannsgroße, 366 Seiten starke Werk stammt von dem Hamburger Künstler Dieter Gerschler Wie dem Programmheft – das auch bei der Rezeption anderer Beiträge hilft – zu entnehmen ist, soll die «Gerschlerbibel», die das komplette Neue Testament in der Luther-Übersetzung enthält, einen «Trialog zwischen Staat, Kirche und Gesellschaft, aber auch zwischen den drei Abrahamischen Weltreligionen anregen». Allerdings ist das eine halbe Tonne schwere Buch in Erlangen nicht im Original, sondern nur in Film und Katalog zu sehen, die auch den

24 Jahre währenden Entstehungsprozess der Bibel nachzeichnen. Ein leises Knacken holt den gedankenverlorenen Besucher in die Realität zurück: Jemand ist auf die Schalen der Gipseier getreten. ASTRID MENHARDT

«KunstINFEKTE IV» im Institut für Anatomie ist noch bis Mittwoch, 1. Juli, Montag bis Freitag zwischen 10 und 17 Uhr, geöffnet. Die Installation mit den Seziertisch-Projektionen war nur am Abend der Vernissage zu sehen.