24. April 1969: Das Risiko beim Spiel

24.4.2019, 06:46 Uhr
24. April 1969: Das Risiko beim Spiel

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Die damals zehnjährige Ulrike stürzte von einem Spielgerät und erlitt einen offenen komplizierten Unterschenkelbruch mit anhaltender Infektion. Eine lange und tiefe Narbe blieb als stete Erinnerung an den Unfall zurück. Auch bei den Eltern hat das Unglück ihrer Tochter eine Narbe hinterlassen. Sie versuchten bisher ohne Erfolg zu ergründen, wer den Schaden trägt und wer ihrem Kind ein Schmerzensgeld zahlt.

Schauplatz des Geschehens war der Rundlaufpilz auf dem Spielplatz im Tiergarten. Ulrike hing gerade an den eisernen Haltegriffen, als ein 14jähriger Junge aus dem Landkreis Lauf hinzukam und den Pilz kräftig drehte. Das Tempo wurde immer schneller, das Mädchen verlor den Halt und stürzte ab. Dem geistig etwas zurückgebliebenen Jungen attestierte ein Gerichtsarzt kurz nach der Tat den Reifezustand eines Zehnjährigen. Der Bub lebt als uneheliches Kind bei seiner Mutter, die in einer Fabrik arbeitet.

Der juristisch noch nicht geklärte Fall veranlaßte uns, einmal zu fragen, wie es ganz allgemein um die Haftung auf öffentlichen Spielplätzen bestellt ist. Grundsätzlich, so sagte uns Rechtsreferent Stadtrat Dr. Richard Sauber, haftet die Stadt für den ordnungsgemäßen Zustand der Spielgeräte. Sie ist auch verpflichtet, die Anlagen laufend auf Mängel zu überprüfen und diese zu beseitigen. Ferner muß sie sich vergewissern, daß nur solche Geräte aufgestellt werden, von denen bei normaler Benutzung keine unmittelbare Gefahr ausgehen kann. In diesem Rahmen ist die Stadt gegen ein etwaiges Verschulden versichert.

Gebot- oder Verbotsschilder – wie „Nur für Kinder ab zehn Jahren“ – sind auf Spielplätzen nicht erforderlich. „Beobachten Sie es einmal selbst“, empfahl Dr. Sauber, „es gibt geschickte Kinder mit fünf und unbeholfene mit elf und zwölf Jahren. Die Buben und Mädchen haben ein Gespür dafür, was sie sich zutrauen können. Wenn es eine Auseinandersetzung gibt, geht es nicht um Schilder, sondern um die Frage, ob das Gerät geeignet oder ungeeignet war.“

Keine Haftpflichtversicherung

Der Fall Ulrike laßt sich demnach nicht in den Haftungskomplex der Stadt einreihen. Übrig bleibt der Junge, der den Pilz auf Tempo brachte. Amtmann Albrecht, der Leiter des Kreisjugendamts in Lauf, stellt sich vor sein Mündel. Er glaubt, in der Konstruktion des Spielgeräts läge eine Gefahr, „denn wie sollen es die Kinder erkennen, wie schnell sich das Ding drehen läßt?“ Wenn man versuche, die Mutter des Buben haftbar zu machen, so müsse man ihr erst nachweisen, daß sie ihre Aufsichtspflicht vernachlässigt habe. „Einen 14jährigen kann man doch nicht immer einsperren“, erklärt Amtmann Albrecht.

Eine Haftpflichtversicherung für die Mündel hat weder der Landkreis Lauf noch die Stadt Nürnberg abgeschlossen. Oberrechtsrat Heinz Mösonef, der Leiter des städtischen Jugendamts, ließ bereits vor Jahren die Summen errechnen, die jährlich für diesen Zweck erforderlich wären. Man kam auf rund 45.000 DM. Der Jugendwohlfahrtsausschuß hat 1964 beschlossen, die Prämien zu sparen. Gleichzeitig war man sich aber einig, daß sich die Stadt kulant zeigen werde, wenn einmal ein Schadensfall eintreten sollte.

„Das sind die unguten Fälle“

Die menschliche Seite des Falles Ulrike sehen alle, die mit der Sache zu tun haben. Sie bedauern das Mädchen und die Familie, doch sie sehen keine Lösung. „Das sind die unguten Fälle für uns“, formulierte es der Nürnberger Rechtsreferent, „wir sehen, daß eine gewisse Hilfe wünschenswert wäre, aber wir müssen nach Recht und Gesetz verfahren und können nicht zahlen, wo keine rechtlichen Verpflichtungen bestehen. Die landläufige Meinung, für jeden Schaden sei einer da, der haftet, stimmt mit dem geltenden Recht nicht überein.“

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