29. April 1969: Mehr Raum für Blinde

29.4.2019, 07:00 Uhr
29. April 1969: Mehr Raum für Blinde

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Josef Radspieler, Direktor der Blindenanstalt, und Dr. Franz Ruf, erster Vorsitzender des Vereins Blindenanstalt, konnten dem Gast schon einen detaillierten Plan vorlegen. Zweck- und Kursräume sowie Gruppenzimmer für die Sonderschulen sind darin ebenso enthalten wie ein Lehrschwimmbecken.

Die Unterlagen sind bereits bei der Regierung von Mittelfranken in Ansbach eingereicht. Werden sie genehmigt, soll das Gebäude an der Kobergerstraße, in dem heute Schule und Wohnheim untergebracht sind, umgebaut und in Richtung Grolandstraße durch einen Atriumbau als Wohntrakt erweitert werden. Bei einem Rundgang konnte sich der Gast mit eigenen Augen überzeugen, daß das Gebäude, das vor über hundert Jahren als vorbildliches Zentrum der Blindenbildung gerühmt wurde, bei weitem nicht mehr den Anforderungen genügt.

So ist beispielsweise die nach dem Sonderschulgesetz verlangte Trennung der Klassen für Blinde und Sehbehinderte wegen Raummangel kaum möglich. Eine Broschüre wies sogar auf ein noch viel größeres Übel hin: in einer Etage sind Sehbehinderte und Blinde verschiedenen Alters und Geschlechts in Schlafsälen mit 14 und mehr Betten untergebracht; die wenigen Spiel- und Aufenthaltsräume liegen verstreut in den einzelnen Etagen und die sanitären und hygienischen Verhältnisse sind unzureichend.

"Aus diesen Gründen ist es verständlich, daß die behördliche heimaufsichtliche Genehmigung in Frage gestellt wird", befürchtete Direktor Radspieler und fügte hinzu: "Durch den Umbau des Gebäudes allein läßt sich die Not nicht lindern. Eine entscheidende Erweiterung des Volumens ist unumgänglich, zumal sich das Aufgabengebiet für die Anstalt erheblich erweitert hat und die Belegungszahlen durch die zunehmende Eingliederung der Sonderschulen ansteigen werden."

Jährlich 130 Kinder

Die in den letzten zehn Jahren gesammelten Erfahrungen lehren, daß aus den Regierungsbezirken Mittel- und Oberfranken sowie Oberpfalz – für sie ist die Blindenanstalt Nürnberg zuständig – künftig jährlich über 130 sehbehinderte und späterblindete Kinder und Jugendliche eingeschult werden müssen. Sie brauchen Unterrichtsräume mit einer Mindestfläche von 54 Quadratmetern, denn: der Schultisch muß so groß sein, daß ein Buch in Blindenschrift mit den Maßen 40 mal 80 Zentimeter aufgelegt werden kann und daneben noch eine Punktschriftmaschine von 40 mal 50 Zentimeter Platz findet.

Der Minister hörte noch viele Gründe, die für einen großzügigen und umfassenden Um- und Neubau sprechen. Er war sich mit seinen Gastgebern einig, daß die beste Sonderschulbildung wenig nützt, wenn die Ausbildung nicht in eine ebenso gute berufliche Stelle mündet. Direktor Radspieler konnte dazu berichten. daß in der Nürnberger Anstalt schon viele gute Telefonisten, Stenotypisten und Fernschreiber ausgebildet worden sind. In der Tat: 150 Silben in Stenografie und 300 Maschinenanschläge können sich sehen lassen. "Das ist echte Rehabiliation, wenn ein Blinder im Beruf genauso viel leistet wie ein Normalsehender", stellte Radspieler fest.

Der Direktor appellierte abschließend an alle Bürger, nicht aus Mitleid heraus zu handeln. Vielmehr müßte jeder die zwingende Notwendigkeit spüren, anderen Menschen zu helfen.

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