21. Juli 1969: Globetrotter unter sich

21.7.2019, 07:00 Uhr
21. Juli 1969: Globetrotter unter sich

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Heidi Rian, 21, Studentin an der Universität von Wisconsin (USA), kam auf den Kontinent, um Deutsch zu lernen. Ein Jahr lang unterbrach sie ihr Studium, verdiente sich das Geld für ihren Alleingang kreuz und quer durch Europa und arbeitet sich nun per Stahlroß von einem Goethe-Institut zum anderen durch. Ihr vorläufiges Ziel: München. „Dann sehen wir weiter ...“ Alle Achtung!

Die unternehmungslustige Heidi Rian ist nur eine von rund 300 interessanten Gästen, die in der Jugendherberge an der Burg Station zwischen zwei, drei, vier Ferienwelten machen. Nachdem in deutschen Bundesländern, Nachbarstaaten und -kontinenten die Ferien nicht nur an-, sondern allem Augenschein nach regelrecht ausgebrochen sind, herrscht in der Kaiserstallung internationale Hochsaison. Durchschnittlich 200 Abenteuerlustige zwischen 17 und 22 Jahren zählt Herbergsvater Wilhelm Tietz täglich, an diesem Wochenende waren allein 150 Einzelwanderer dabei; 80 v. H. von ihnen sind Ausländer, die restlichen 20 v. H. vielköpfige Wandergruppen. Die deutsche Jugend im allgemeinen, die Nürnberger im speziellen ist dementsprechend in den „youth hostels“ und „auberges de jeunesse“ des übrigen Europa zu suchen.

Wer zählt die Völker, nennt die Namen ... Die Internationalität auf der Burg umspannt den ganzen Erdball. Angeführt von Tschechoslowaken – die teils aus Reiselust, teils zwecks Emigration ihr Land verlassen haben – sitzen Franzosen neben Japanern, Amerikaner neben Türken, Kanadier neben Israelis, Engländer neben Belgiern, Schweden neben einem Studenten aus Ceylon in und vor den historischen Mauern Nürnbergs. Völkerverbindend wirkt bei diesem Nationalitäten-Eintopf nicht nur der gemeinsame Erlebnis-Hunger, das nahezu alle Schranken überwindende gleiche Alter und die Weltsprache Englisch, sondern zu einem beträchtlichen Teil die Tatsache, daß sie allesamt knapp bei Kasse sind…

Gitarrenklänge und Protestsongs vor der angestrahlten Burgfassade, kostenlose Stadtführungen in allen Sprachen – vom Herbergsverband organisiert –, Diskussionen und Bekanntschaften, die vielleicht ein Leben lang bestehen, scheinen ihnen kostbarer als kostspielige Unternehmungen. Sie leben nach dem Prinzip der vier schwedischen Globetrotter, die Samstag nacht ankamen, um Sonntag früh wieder aufzubrechen. „Ein Maximum an Erlebnissen – ein Minimum an Geld. Wir haben drei Monate Ferien. Im ersten wird gearbeitet, im zweiten gereist, im dritten fürs nächste Semester gepaukt.“

Für die meisten bedeutet Nürnberg nur eine reizvolle Zwischenstation. Länger als zwei, drei Tage halten es die modernen Wandervögel an einem Ort nicht aus. Eine kleine Verschnaufpause, ein kurzer Erfahrungsaustausch, ein Informationsblick in die Altstadt – und schon geht es per Auto-Stop, per pedes, Eisenbahn, Fahrrad, seltener im eigenen Wagen, allein oder in Clübchen, weiter. Besonders beliebte Ziele, so konnte man hören, sind Italien, Österreich und Jugoslawien; bei Franzosen und Engländern steht Prag hoch im Kurs; die Prager hingegen zieht es mehr nach Paris, die Amerikaner – wie könnte es anders sein – nach Heidelberg.

Was den einen „romantic Germany“, ist den anderen die Côte d'Azur. So verschieden ihre Ziele auch sind, in diesem Punkt sind sich alle Durchreisenden im internationalen Umschlaghafen auf der Burg einig: „Nürnberg ist einfach beautiful, merveilleux, wunnebar … Schade, daß wir nicht länger bleiben können. Aber, you understand, die Ferne lockt!“

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