4. August 1969: 350 Ruinenplätze in der Altstadt

4.8.2019, 07:00 Uhr
4. August 1969: 350 Ruinenplätze in der Altstadt

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Um nur eine Ahnung vom Umfang der Ruinengrundstücke im Jahre 1959 zu vermitteln: allein im Altstadtbereich sind es 350 bebaubare Grundstücke, für den ganzen Stadtbereich ein Vielfaches davon.

Wer ein Ruinengrundstück hat, braucht für den Unrat nicht zu sorgen. Eine Erfahrung des Gesundheitsamtes lautet: „Ein Ruinengrundstück reizt die Leute oft zur Ablagerung von Abfällen.“ Das aber macht die Verärgerung eines betroffenen Grundbesitzers darüber verständlich, „daß die Leute mein Grundstück mit ihrem Ascheneimer verwechseln“.

Meterhohes Unkraut

In diesem Falle handelt es sich um den Besitzer von 50 Quadratmetern in Wöhrd. 1944 ausgebombt, übersiedelte die Familie nach Münster in Westfalen. Heute verbirgt eine Plakatwand mit konsumfördernder Reklame die Tragik des Kriegsschicksals in Wöhrd. Über die ehemalige, dem Boden gleichgemachte Wohnstätte ist meterhohes Unkraut gewachsen. Gerne hätte der Grundbesitzer nach dem Kriege wieder aufgebaut, doch was er verloren hatte, war ein früher einmal gebräuchliches handtuchschmales Häuschen, das nun aus baurechtlichen Gründen nicht mehr entstehen durfte.

Nun erreichte den Wahl-Münsteraner, der gerne nach Nürnberg zurückkehren möchte, die schriftliche Aufforderung des städtischen Gesundheitsamtes, sein verunreinigtes Grundstück von Blechbüchsen, Bauschutt, Holzabfällen und dergleichen zu säubern. Sein verbitterter Kommentar: „Sind wir, die etwa 500 Kilometer von dort entfernt wohnen, verpflichtet, eine Art Ersatzmüllabfuhr für die Anwohner in Wöhrd zu spielen?“

Keine „Lex Dürer“

Das Gesundheitsamt tritt in der Regel dann in Aktion, wenn ihm eine Anzeige vorliegt. Seine Abteilung für Ortshygiene nimmt dann eine Ortsbesichtigung vor, und nicht selten stellen die Experten der Desinfektionsanstalt Rattenspuren fest. Obermedizinaldirektor Dr. Eduard David vom Gesundheitsamt: „Wir können uns nur an den Besitzer halten. Dem vom Krieg betroffenen bleibt‘s also nicht erspart: 25 Jahre nach der Bombardierung hat er mit seiner kleinen Parzelle Heimaterde nichts als Ärger.

Nicht auf alle Grundstücke trifft der Vorwurf der Unreinlichkeit zu. Doch unansehnlich und ob ihres unerfreulichen Kontrastes zu neuen Bauten wirken die meisten. Und das vor dem Albrecht-Dürer-Jahr!

30 bis 40 Besitzer von Ruinengrundstücken – ausgesucht wurden die am meisten störenden Stellen im Stadtbild – erhielten unlängst einen Brief. Darin wurden sie gebeten, alles Mögliche zu tun, damit die Grundstücke einer baulichen Nutzung zugeführt werden. Sie könnten, wie es in dem von OB Dr. Andreas Urschlechter unterzeichneten Schreiben heißt, damit einen großen Beitrag zum Albrecht-Dürer-Jahr leisten und mit weitgehender Unterstützung der Stadt rechnen.

Fast alle angeschriebenen Grundbesitzer meldeten sich. Die Frage „was zahlt die Stadt dazu?“ blieb freilich nicht aus. Daran scheiterte manch guter Wille, weil die Stadt nicht ohne weiteres städtische Gelder in private Bauten zuschießen kann, öffentliche Gelder können nur gewährt werden, wenn beim Wiederaufbau der Rahmen der Denkmalspflege berührt wird.

Trotzdem ist man in der Stadt optimistisch. Das Ziel, alle Lücken im Stadtbild rechtzeitig zu schließen, werde sich zwar in vollem Umfange nicht verwirklichen lassen, doch habe sich die Briefaktion gelohnt.

„Das sieht ja furchtbar aus!“ sagen die Leute oft vor einem Ruinengrundstück. „Warum bauen sie denn da nix hin?“ Die Gründe dafür, daß nicht wiederaufgebaut werden kann, sind verschieden. Mal ist es Uneinigkeit in der Erbengemeinschaft, mal sind es auch Spekulationen auf steigende Grundstückspreise. Nicht zu vergessen echte baurechtliche Schwierigkeiten, wie z. B. die Ablösesummen für den Nachweis von Stellplätzen. Stadtreferent für Bauwesen, Heinz Schmeißner: „Natürlich kann es keine „Lex Albrecht Dürer“ geben, die von solchen Verpflichtungen entbindet“.

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