21. August 1969: Die Liebe geht durch den Magen – auch in der Luft

21.8.2019, 07:00 Uhr
21. August 1969: Die Liebe geht durch den Magen – auch in der Luft

© Ulrich

Dem König Kunde soll es an nichts fehlen, wenn er in die Luft geht. In seiner fliegenden Reisekutsche werden ihm von zarter Hand die besten Delikatessen mundgerecht serviert. Freundlich lächelnd nimmt die Stewardeß die Komplimente entgegen. Das Lob gebührt jedoch dem Koch – und den sehen die Passagiere nie.

21. August 1969: Die Liebe geht durch den Magen – auch in der Luft

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In Nürnberg ist für das leibliche Wohl der Fluggäste die Bordküche zuständig, wo zur Zeit 19 Köche die Kochlöffel schwingen, um dem Bedarf des "Weltflughafens" gerecht zu werden. Wer ihnen zuschaut, möchte sie am liebsten auf der Stelle engagieren. In Nullkommanichts, sprich zehn Minuten, können sie über 80 Essen mit allen nur denkbaren Spezialitäten auf die Tabletts zaubern. Der Vergleich mit der Kantine hinkt also; mit Eintopf haben die wohlausgefeilten Menüs nicht mehr das geringste gemein. Die Zubereitung von Shrimps oder Hummer ist den Bordköchen ebenso geläufig wie das Herrichten von getrüffelter Gänseleberpastete, Safran-Reissalat oder Artischockenherzen.

Seit München-Riem seinen Flughafen geschlossen hat, platzt Nürnbergs Bordküche aus allen Nähten. Früher mußten in der Landkombüse rund 800 Essen pro Tag zubereitet werden, in den letzten Tagen jedoch – bis Ende August – werden täglich über 2000 verlangt. Mit der alten Küchenbesetzung hätte natürlich diese Mammutaufgabe nicht bewältigt werden können.

"Ein teures Vergnügen"

Münchens Airport sandte als der Schuldige prompt Ersatz: vier Köche reisten aus der Metropole als Verstärkung an mit zehn Mann Küchenpersonal in ihrem Gefolge. Außerdem lieh sich der Nürnberger Flughafen den dringend benötigten Hubwagen samt fünfköpfiger Besatzung für die Massenbordverpflegung aus.

21. August 1969: Die Liebe geht durch den Magen – auch in der Luft

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"Für uns ist das ein teures Vergnügen", meint Karl Rositzka, rechte Hand von Else Gsänger, Pächterin des Flughafen-Restaurants, zu dem auch die Bordküche gehört. "Die Münchner Leihgabe kostet uns pro Tag rund 1000 Mark". Doch ohne diese versierten Gourmets könnte der Hunger der unzähligen Passagiere nicht gestillt werden. Der Hubwagen sorgt dafür, daß das Frühstück, Dinner oder der Lunch rechtzeitig – und die Zeit ist immer knapp – das Flugzeug erreichen.

Trotz all dieser Voraussetzungen geht es in der Nürnberger Bordküche oft wie in einem Bienenschwarm zu; besonders dann, wenn eine Maschine außerplanmäßig landet. Doch Küchenchef Hans Hillo wird auch mit diesem Problem fertig. "Für diesen Beruf muß man schon eine gehörige Portion Organisationstalent mitbringen." Dann nämlich, wenn in ganz Nürnberg kein Kalbsrücken mehr zu haben ist. "Oder wenn wir die Extraorder der Fluggesellschaften erfüllen müssen: die Air Lingus wünscht für ihre Passagiere die Maraschino-Kirsche mit Stiel." Wenn alle Stricke reißen, werden die Sonderwünsche per Flugzeug aus München oder Hamburg erfüllt; frische Forellen kommen auf diesem Weg direkt aus Oberbayern frisch auf den Tisch.

Magazine sind gut gefüllt

Doch das sind die Ausnahmen. Die Keller, vier Kühlhäuser. sechs Tiefkühltruhen und zwei Magazine sind bis an den Rand gefüllt mit seltenen Delikatessen jeder Art. Das muß auch sein, wenn man zum Beispiel die Liste der Hors d'oevres für die first-class-Passagiere liest: Kalbsmedaillon, Matjesfilet nach Hausfrauenart, Rostbeef-Röllchen mit Sahnemeerrettich, Putenbrust mit Senffrüchten, Waldorf-Salat oder echten Räucherlachs.

Dazu kommen oft noch die schlichten Anweisungen des Bodenpersonals: "Wir wünschen für den Flug soundso noch vier Diät-Essen und sechs vegetarische Speisen." Die Bordküche folgt auch prompt solchen Anordnungen. Überdies wird alle 14 Tage der Speiseplan der Fluggesellschaften geändert. Lediglich eine Erleichterung hat die Verwaltung durchgesetzt: auf den innerdeutschen Kurzstrecken werden den Fluggästen in erster Linie kalte Platten vorgesetzt – selbstverständlich von vorzüglicher Qualität.

Außerdem erhalten die Reisenden, die nur von Nürnberg nach Frankfurt fliegen, die sogenannte Gate-Box, ein transportables Frühstück, appetitlich verpackt, das den Passagieren an der Sperre offeriert wird. Doch auch diese Boxen muß das Küchenpersonal in mühevoller Kleinarbeit täglich neu füllen.

Im Resteverwerten – die Plage jeder Hausfrau – haben die Meisterköche keine Routine. Selbst die nicht berührten Speisen wandern in die Mülltonne. "Wenn man da an Biafra denkt..." sinniert in der größten Hetze ein "Smutje". Doch diesen Gedanken darf er nicht nachhängen, denn inzwischen ist eine neue Maschine gelandet. Die Pflicht ruft, täglich von 5 bis 22 Uhr in der Bordküche.

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