18. Dezember 1969: Prophet im eigenen Land

17.12.2019, 07:00 Uhr
18. Dezember 1969: Prophet im eigenen Land

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Seit Tagen erhält die Redaktion Anrufe und Briefe, in denen Bürger – darunter namhafte Persönlichkeiten – ihrer Verwunderung darüber Ausdruck verleihen, daß man einen auswärtigen Bewerber bevorzugte, obwohl mit Dr. Manfred Kraus, dem Assistenten von Dr. Seitz, ein Mann mit gleichen Qualitäten zur Verfügung gestanden hatte.

„Ausgezeichneter Zoologe“

Von Kennern wird Dr. Kraus als hochqualifizierter Naturwissenschaftler beurteilt, dem der Tiergarten viel zu verdanken habe und der es deshalb auch verdient hätte, an die Stelle des Direktors zu rücken.

„Gerade dieser ausgezeichnete Zoologe hätte, nachdem er seine ganze Kraft unter Hintansetzung vieler persönlicher Interessen dem Tiergarten widmete, jede Voraussetzung zur Eignung als Leiter mitgebracht“, bedauert eine bekannte Persönlichkeit aus einer Familie im Nürnberger Raum, die immer am Geschick des Tiergartens interessiert war. In dem Schreiben heißt es weiter: „Es ist in den Augen vieler Tiergartenfreunde absolut undemokratisch, einen Mann, der wegen der zehnjährigen Tätigkeit mit Sicherheit seine Berufung erwartete, von vorneherein dadurch zu benachteiligen, daß er und seine vielen Anhänger gar nicht zu Wort kommen.“

Die besten Kontakte

Der 41jährige Dr. Kraus hat die besten Kontakte zum Tiergarten-Fördererkreis aus Industrie und Wirtschaft. Er ist vertraut mit der gesamten Situation auf dem Schmausenbuck. Seine Befürworter – sie sind auch beim Verein der Tiergartenfreunde, beim Tierschutzverein und in der Industrie- und Handelskammer zu finden – verweisen nicht nur auf die praktische Erfahrung, die er seit 1960 in Nürnberg erwerben konnte, sondern auch auf seine hervorragenden wissenschaftlichen Leistungen.

Er hat annähernd 30 wichtige Arbeiten über zoologische Probleme geschrieben, ist pädagogisch in der Volkshochschute tätig und gehört zahlreichen wissenschaftlichen Gesellschaften an. Die wissenschaftliche Qualifikation von Dr. Kraus findet ihre Bestätigung auch darin, daß Professor Dr. R. Siewing, der Direktor des 1. Zoologischen Instituts der Universität Erlangen-Nürnberg, einen Lehrauftrag für ihn in die Wege geleitet hat und eine Habilitation, für durchaus möglich hält.

Die Entscheidung für Professor Dr. Roth und gegen Dr. Kraus fiel bereits im Personalausschuß des Stadtrats und zwar mit den Stimmen der CSU, der FDP und eines Teils der SPD-Mitglieder, Dr. Roth aus Rom, weil Roth bei der persönlichen Vorstellung den „gewandteren Eindruck“ hinterlassen haben soll. Wir bezweifeln die fachlichen Qualitäten des auswärtigen Kandidaten nicht, fragen uns jedoch, ob es notwendig und richtig war, bei vermutlich gleicher Qualifikation dem Bewerber aus Rom den Vorzug zu geben.

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