22. Dezember 1969: Der letzte Bader

22.12.2019, 07:00 Uhr
22. Dezember 1969: Der letzte Bader

© Frey

Ein Mann sitzt mit entblößtem Oberkörper auf einem Stuhl. Der Bader erwärmt auf einem Spiritusbrenner Schröpfköpfe und drückt sie blitzschnell auf den Rücken des Patienten.

Ein Glas mit trübem Wasser, in dem Blutegel schwimmen oder sich an der Wand festaugen, steht auf einem Regal. Der Bader nimmt einen Blutegel heraus und setzt ihn an das Bein eines Kunden.

Diese Szenen spielen nicht in einer mittelaterlichen Badestube, sondern in einem modernen Frisiersalon am Stresemannplatz. Er gehört dem letzten seiner Zunft in Nürnberg: Paul Urban approbierter Bader – laut Duden „Haarschneider und Heilgehilfe“.

1899 wurde Paul Urban in Nürnberg geboren und trat schon mit 14 Jahren in die Fußstapfen seines Vaters Friedrich Urban, der 1898 das Badergeschäft eröffnet hatte. Drei Jahre ging sein Sohn bei ihm in die Lehre und legte nach einem Kurs von sieben Monaten in einem Krankenhaus seine Approbationsprüfung ab.

Fürderhin diente er nicht nur der Schönheit der Leute, indem er ihnen die Haare wusch, schnitt und einlegte, sondern auch ihrer Gesundheit: er ist perfekt in Erster Hilf führt Massagen aus, darf Blutegel und Schröpfköpfe setzen, kann Zähne ziehen und Löcher für Ohrringe stechen – was früher wegen des Aberglaubens sehr gefragt war: es sollte gut für die Augen sein.

Gern erzählt der 70jährige Vertreter dieser alten Zunft, deren Tradition bis ins Mittelalter reicht, von alten – für ihn guten – Zeiten: wie sein Vater am Tag durchschnittlich 5 Zähne zog. Das Stück für 50 Pfennig.

„Früher mußten wir an Kirchweihen immer schon ab 22 Uhr zu Hause sein. Um diese Zeit wurden dann die ersten Verletzten eingeliefert und wir leisteten Erste Hilfe. Einmal waren es 30 Verwundete an einem Abend. Das Verbandszeug ging aus, die Mutter kam mit dem Blutaufwischen gar nicht mehr nach und die Sanitäter fuhren die ganze Nacht“.

Während der Vater sein „Hauptgeld“ als Heilgehilfe“ verdiente, ist für Paul Urban der Haarschneider“ einträglicher. Dennoch beherrscht er die Wissenschaft des Blutegelsetzens einwandfrei. Augenzwinkernd, doch bescheiden. meint der Weißhaarige: „Man muß sich schon ein wenig auskennen. Wenn man was falsch macht, kann es passieren, daß der Kunde sogar operiert werden muß.“ Eine Kunst ist das Blutegelsetzen tatsächlich. Zu Heilzwecken können nur ungarische verwendet werden. Heller Bauch und braun-schwarz gemusterter Rücken als besondere Kennzeichen. Sie müssen mit kaltem Wasser abgeduscht werden, damit sie gleich zubeißen, und dürfen nur an bestimmten Stellen angesetzt werden.

Heute noch suchen viele Leute, die zu hohen Blutdruck haben oder unter Venenentzündungen leiden, den Bader auf und lassen sich auf altbewährte Weise behandeln. Oft schicken auch Ärzte ihre Patienten zu Paul Urban – die Krankenkassen kommen dafür auf –, da auch sie die alten Mittel, die oft schonender und erfolgreicher sind, zu schätzen wissen.

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