25. Dezember 1969: Bescherung mit kleiner Tortenspritze

25.12.2019, 07:00 Uhr
25. Dezember 1969: Bescherung mit kleiner Tortenspritze

© Fischer

Auch die Kinder sind für den großen Augenblick mit den obligatorischen Bastelarbeiten aus Kindergarten und Schule und vielen guten Vorsätzen gerüstet. Vier kleine Buben und Mädchen schenken diesmal wie die Erwachsenen: selnbstausgewählte und gekaufte Gaben, die unausgesprochene Wünsche ihrer Eltern erfüllen sollen.

Aber noch ist es nicht üblich, daß Kinder Weihnachtsgeschenke für Vater und Mutter kaufen. Die Eltern erwarten es auch nicht. Für sie sind im großen Augenblick, wenn der Lichterbaum angezündet wird, die strahlenden Augen ihrer Kinder Weihnachtsfreude genug für alle vorangegangene Hetze, Nervösität und Kassensturz.

Dennoch wagten wir ein Experiment, einen kleinen Test, um zu sehen, wie sich Kinder im Konsumland der Erwachsenen zurechtfinden. Um ein Ergebnis schon vorwegzunehmen: es war wahrhaftig nicht leicht, und ist nur starken Naturen weiterzuempfehlen. Denn für solch kleine Kunden sind die Kaufhäuser im Weihnachtstrubel schlecht gerüstet. Alle Erwachsenen steuerten stur auf ihre Ziele los. Unsere Testkinder wurden herumgeschubst, ausgeschimpft und abgedrängt, obwohl wir sie mit Argusaugen bewachten. Daß ihnen ihr Weihnachtseinkauf dennoch so großen Spaß machte, liegt wohl an ihrer ursprünglichen Freude am Kaufen.

Vier Kinder im Alter von fünf bis sieben Jahren luden wir zum Einkaufsbummel ein, drückten jedem sechs Mark in die Hand und stürzten uns ins Getümmel. Der siebenjährige Jost war der erste, der zielbewußt zu einem Verkaufstisch steuerte und sich eine große Taschenlampe herunterlangte. „Fürs Auto, damit der Papi endlich im Kofferraum was sehen kann.“

25. Dezember 1969: Bescherung mit kleiner Tortenspritze

© Fischer

Mit Batterien wurde es für Jost ein teurer Spaß. 30 Pfennig blieben nur noch für die Mutter übrig. Doch das finanzielle Probleme war schnell gelöst. „Mami bekommt eine Bastelarbeit“, meinte er und schenkte seiner Schwester Sabine (6) die restlichen Groschen. Zufrieden mit sich selbst und seiner Leistung widmete er sich fortan dem Zuschauen und erteilte gute Ratschläge.

Sabine verwirrte die Kaufhaus-Atmosphäre. Mit großen Augen starrte sie auf die Auslagen und konnte sich von all den glitzernden Kostbarkeiten gar nicht losreißen. Besonders der Schmuck hatte es ihr angetan „Ich möchte so ein Ding, mit dem meine Mami mir auf den Kuchen Sabine schreiben kann.“ Weiß der Himmel, wie sie plötzlich von Ketten auf Küche kam. Die Tortenspritze – die größte, die wir auftreiben konnten, – war nach langem Suchen schnell gekauft.

Eberhard (5) hingegen war noch immer unentschlossen. Getreulich folgte er seinen Freunden, hörte zu, rechnete still vor sich hin und lächelte verschmitzt. Und plötzlich deutete er auf einen Gasanzünder. „Den will ich. Der von meiner Mutti ist nämlich kaputt.“ Ebenso spontan entschied er sich für einen Nußknacker, „weil der Papi die Nüsse immer mit den Händen aufknackt“.

Thomas (6) umklammerte noch seine ganze stolze Barschaft. Der sparsame Eberhard, der immer nach den Preisen fragte und alles so schrecklich teuer fand, schaute neidvoll auf die Markstücke in Thomas‘ Hand. „Aber du mußt ja auch noch etwas kaufen“, meinte er erleichtert.

Der „reiche“ Thomas wollte ganz hoch hinaus. Ein Parfüm sollte es sein. Treuherzig hielt er der Verkäuferin die Silbermünzen unter die Nase. Auch ihr tat es leid, daß selbst das kleinste Fläschchen unerschwinglich war. Doch Thomas ließ mit sich handeln. Mit drei Stück duftender Seife zog er von dannen.„Nun möchte ich einen schönen großen Aschenbecher für meinen Vater.”

Wünsche überstiegen die Barmittel

Er bewies wieder erstaunlichen Geschmack, doch ach, die Trauben hingen all-zuhoch. Zu gern hätten wir der Verkäuferin heimlich etwas Geld zugesteckt, so enttäuscht sah unser Thomas aus. Aber gleiches Recht für alle! Wir dirigierten ihn in die Glasabteilung. Hier gab‘s noch manch „großes“ Geschenk für ein paar Zehnerl.

Sabine wühlte derweil selbstvergessen in Bijouterie-Waren. Die „Klunkern“ hatten sie schon lange angezogen. Sie suchte gewissenhaft, bis sie eine knallig bunte Haarspange mit silbernen Glassteinen entdeckt hatte. „Für Mami, damit ihr die Haare nicht dauernd ins Gesicht fallen.“ Da wollte es ihr gar nicht in den Kopf hinein, daß soviel Gold und Edelsteine nur ein paar Pfennige kosten sollten. Kurzentschlossen griff sie noch nach einem Trockenshampoo, dessen Duft sie nicht widerstehen konnte.

Thomas hatte endlich seinen wunderschönen großen dunkelgrünen, Glasaschenbecher gefunden – und noch immer war das Geld nicht alle. Da war noch gut ein Trinkbecher für seinen Bruder drin. Startzeichen für den sparsamen Eberhard. Er hatte erst kürzlich das Glas seines Bruders zerbrochen. Günstige Gelegenheit, um die Scharte wieder auszuwetzen. Da konnte Sabinchen natürlich nicht hintanstehen. Gut bebechert zog die Bande weiter.

Drei Stunden mit vier kleinen Kindern im Kaufhaus – auch der Begleitschutz war rechtschaffen müde und doch froh gestimmt. Unsere kleinen Einkäufer hatten mit so viel Liebe, Konzentration und Verstand gewählt, waren achtlos am Wunderland der Spielsachen vorbeigegangen, waren nur vom Gedanken besessen, ihren Eltern eine Freude zu machen. Als wir auf das Taxi warteten, dachten sie nicht an ihr Christkind, sondern an den großen Augenblick, wenn Vater und Mutter ihre Päckchen öffnen. Und als uns der Taxifahrer vor allen anderen Kunden bevorzugte, erfüllte den Begleiter dessen Frage mit großem Stolz: „Sagen Sie mal, sind das alles wirklich ihre Kinder?“

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