7. Februar 1970: Arme fallen ins Gesetzesloch

7.2.2020, 07:00 Uhr
7. Februar 1970: Arme fallen ins Gesetzesloch

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Diesen Fall – der symptomatisch ist für die Praktiken vieler Eigentümer von Altbauwohnungen, seit Nürnberg weißer Kreis ist, – trug MdL Bertold Kamm in der Fragestunde des Bayerischen Landtages vor. Er wurde begütigend beschieden: Es seien von der Bayerischen Staatsregierung alle ihr möglichen Maßnahmen unternommen worden, um „ungerechtfertigte Mietpreiserhöhungen zu verhindern“; außerdem würden bei „staatlich beeinflußten Gesellschaften die gesetzlichen Vorschriften beachtet“.

Antwort steht noch aus

Der Nürnberger Abgeordnete gab sich damit nicht zufrieden. In einem Schreiben an Bundes-Wohnungsbauminister Dr. Lauritzen schilderte er weitere ähnliche Fälle – vom gleichen Hauseigentümer ausgelöst – und stellte die Frage, ob dagegen nicht gesetzlich vorgegangen werden könne. Andernfalls müßte hier eine entsprechende Änderung des Gesetzes erfolgen. Eine Antwort steht noch aus.

Sie wird, wie Dr. Christian Arneth, Rechtsberater des Mietervereins Nürnberg und Umgebung, erklärte, auch kaum eine bindende Aussage enthalten können. Denn der Rahmen, den das Gesetz bei „weißen Kreisen“ gewährt, ist so weit gesteckt, daß er Raum genug für erfolgversprechende Spekulationen bietet – zum Leidwesen der Mieter.

Das einzige Regulativ gegen überhöhte Mieten ist der Wucherparagraph, und der ist denkbar unscharf formuliert: es muß ein krasser, auffallender Unterschied zur Marktmiete bestehen. Ein Jahr nach Wegfall der Preisbindung, also 1966, rollte eine Welle von Mieter-Protesten auf den Mieterverein zu. Dr. Arneth: „In diesem Jahr hatten wir uns wöchentlich im Schnitt mit vier bis fünf Fällen zu befassen.“

Gerade unter der Wucher-Grenze

Die Methode, die von Gesellschaften oder finanzkräftigen Privatleuten angewendet wird, ist denkbar einfach: Es werden Altbauten aufgekauft, den bisherigen Mietern wird gekündigt; jedoch könnte unter gewissen Bedingungen an eine Erneuerung des Mietvertrages und damit an eine Fortsetzung des Mietverhältnisses gedacht werden. Die Änderung pflegt dann in einer gesalzenen Mieterhöhung zu bestehen. Das Verfahren ist simpel: Die neue Miete kann so festgesetzt werden, daß sie gerade noch unter der ohnehin fließenden Grenze des Wuchers liegt – und damit ist praktisch allen rechtlichen Gegenmaßnahmen die Grundlage entzogen. Lediglich in krassesten Fällen sind Ausnahmen möglich.

Härte aber tritt fast überall auf: es sind wahrhaftig nicht die vom Wirtschaftswunder Gesegneten, die in Altbauwohnungen leben. Für sie bedeutet die „Integration in die Wohnungsmarktlage“ in der Regel nichts anderes, als daß der ohnehin nicht weite Gürtel noch erheblich enger geschnallt werden muß. Alten Menschen blieb und bleibt häufig nichts anderes übrig, als den Weg ins Altenheim anzutreten.

MdL Bertold Kamm: „Zu mir sind Menschen gekommen, die vor Verzweiflung nicht wußten, was sie jetzt, da sie die Wohnung verlassen mußten, anfangen sollten!“ Und Dr. Arneth bedauert, daß viele Mieter nicht um ihre Rechte Bescheid wissen. So kann sich – nach der Kündigungsfrist – die Räumungsfrist bis zu einem Jahr hinziehen. Besonders rügt der Jurist, daß gerade Altbauwohnungen und damit sozial schwache Mieter Spekulationen ausgesetzt sind.

Der soziale Wohnungsbau ist für solche Vorhaben gänzlich ungeeignet, und auch der grundsteuerbegünstigte freifinanzierte Wohnungsbau biete keine Anreize: während der Tilgung sind die Mieten unkündbar. Freilich richtet Dr. Arneth auch einen leisen Vorwurf an die Mieter: die – wenigstens bis jetzt noch – bescheidenen rechtlichen Möglichkeiten, die ihnen zur Verfügung stehen, würden von ihnen nicht ausgenützt; und dies fast ausschließlich aus Unwissenheit.

So hat der Nürnberger Alfred M., der seine Wohnung im Februar 1968 bezog, während dieser Zeit – nach seinen eigenen Angaben – über 2000 DM in sie investiert, um sie halbwegs wohnlich zu gestalten. Dieser Betrag ist für ihn verloren; zumindest hat er keine gesetzliche Handhabe. Er wäre ihm nur von Nutzen, wenn er den Mietvertrag des neuen Eigentümers unterschreiben – und künftig fast die doppelte Miete zahlen würde.

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