10. September 1970: Zaungäste vor dem Stadion

10.9.2020, 07:08 Uhr
10. September 1970: Zaungäste vor dem Stadion

© Wilhelm Bauer

Jeder hatte dort mit sich selbst genug zu tun. "Brauchst noch eine Karte?" Der Schwarzhändler bietet dem sehnsüchtig auf die Stadionkulisse starrenden Zaungast von seinem Vorrat an. "Sitzplatz, ganz vorne, nur ein bissel teurer als sonst". Im Handteller verborgen, wechselt die Ware ihren Besitzer. Geld klimpert in der Jackentasche, der Käufer rennt eilig auf die Sperre zu. "Mir ist das zu blöd, drum bleib ich lieber draußen", knurrt der bebrillte Radler, der offensichtlich nicht zu den Fußballfans zählt.

Und während ein tausendstimmiges "Aaahhh" von den Rängen widerhallt, schreit der Bratwurstverkäufer auf dem Vorplatz seine letzten Würstchen aus. Auf einem Klappstuhl vor seinem Fahnenstand, den vor wenigen Minuten noch Hunderte umlagert hatten, ruht sich der Besitzer erst einmal aus. Nur gelegentlich blickt er über den Rand seiner Zeitung, fragt seine Frau nach den Einnahmen, um sich dann wieder ganz seiner Lektüre zuzuwenden. Knapp 100 Meter weiter tobt die Fußballschlacht. Für ein altes Paar ist ein Spaziergang um das dampfende Stadion die willkommene Abwechslung. Bereitwillig erklärt der Alte den Umstehenden: "Ich bekomme von hier genauso viel mit, wie drinnen. Meine Augen wollen nämlich nicht mehr so recht". Und seine Begleiterin äußert ihren Kummer, die Bierflasche in der Hand: "Ich tät‘ vielleicht aus Versehen mal für die anderen schreien".

Zwei Fußballwitwen verfluchen das Hobby ihrer Angetrauten, ganze zwei Stunden werden sie auf die Männer warten müssen. Trost finden sie an der Bratwurstbude an zwei saftigen Knackern. Gelassen patrouillieren währenddessen Herr und Hund vor der langen Reihe abgestellter Polizeiwagen, den Blick stur auf die Wagen gerichtet. Sorgfältig registrieren Zaungäste, die ihre Nasen durch die Gitterstäbe drücken, jeden Laut, Seufzer oder Beifallsruf von den Blöcken. Mit den Zuschauern auf den Rängen, die ihren Matadoren Beifall spenden, reiben sich auch die Bierverkäufer die Hände: 30.000 Flaschen Gerstensaft haben sie unter die Leute gebracht. Für sie ist das Länderspiel jetzt schon gelaufen.

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