Bamf: Protokoll einer beschleunigten Behörde

15.6.2018, 21:50 Uhr
Protokolle von Mitarbeiterversammlungen einer BAMF-Außenstelle in der Mitte Deutschlands, die der WELT und den Nürnberger Nachrichten vorliegen, zeigen: Das Primat der Geschwindigkeit gilt weiterhin.

© Daniel Karmann/dpa Protokolle von Mitarbeiterversammlungen einer BAMF-Außenstelle in der Mitte Deutschlands, die der WELT und den Nürnberger Nachrichten vorliegen, zeigen: Das Primat der Geschwindigkeit gilt weiterhin.

Die Vorwürfe gegen das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) betreffen längst nicht nur die Außenstelle in Bremen. Die Behörde steht in der Kritik, zu sehr auf Schnelligkeit und zu wenig auf Gründlichkeit zu setzen. 

Nach einer Sondersitzung des Innenausschusses des Bundestages wehrte sich der frühere Bamf-Chef Frank-Jürgen Weise gegen die Kritik, man habe Gründlichkeit hintenangestellt. Auch die aktuelle Präsidenten Jutta Cordt wies darauf hin, seit der Amtsübernahme Anfang 2017 verschiedene Maßnahmen zur Qualitätssicherung ergriffen zu haben. In der Sendung "Anne Will" wehrte sich schließlich auch die Bundeskanzlerin gegen den Vorwurf, beim Bamf habe es das Ziel "Schnelligkeit für Gründlichkeit" gegeben. 

Protokolle von Mitarbeiterversammlungen einer BAMF-Außenstelle in der Mitte Deutschlands, die WELT und Nürnberger Nachrichten vorliegen, zeichnen jedoch ein anderes Bild. Demnach gilt das Primat der Geschwindigkeit weiterhin. Die Zahl der bearbeiteten Anträge wird fast in jeder Sitzung unter Tagesordnungspunkt 1 oder 2 herausgehoben. Gelobt wird vor allem, wer viele Anträge bearbeitet. Der Druck wird noch immer von oben nach unten weitergegeben, das zeigt ein Auszug aus Unterlagen der letzten acht Monate.

23.5.2018 

In der letzten Woche lag die Quote der Bescheide je VZA (Anmerkung: Vollzeitäquivalent, also pro Vollzeitstelle) bei 1,1/Tag. Dies ist ein Rückgang zu der vorherigen Woche um 0,3 (1,41). … Es soll versucht werden, weiterhin in Richtung der Zielvorgabe von mindesten s 2,0 zu arbeiten. 

16.5.2018 

Trotzdem ist nachdrücklich und wiederholt darauf hinzuweisen, dass in der Summe die Zielvorgaben nicht erreicht werden. So sind in der vergangenen Woche durchschnittlich pro Tag und Entscheider 1,4 Entscheidungen getroffen worden. 

2.5.2018 

ln den letzten Wochen lag die Quote der Bescheide je VZA bei 1,3. Dies ist ein Rückgang zu den vorherigen Wochen. ln Anbetracht der aktuellen, personellen Veränderungen im Hause und eines kurzzeitigen Aktenmangels, ist dies noch ein akzeptables Ergebnis. Eine Steigerung ist wünschenswert und sollte im aktuellen Umfeld auch möglich sein. 

28.3.2018: "Die Zentrale in Nürnberg nimmt die bundesweiten Leistungssteigerungen positiv zur Kenntnis."

28.3.2018: "Die Zentrale in Nürnberg nimmt die bundesweiten Leistungssteigerungen positiv zur Kenntnis." © Eduard Weigert

11.4.2018 

Herr … teilt mit, dass für die Dienststelle … in dieser Woche bisher lediglich eine Quote von 0,8 Entscheidungen pro anwesendem Entscheider erzielt wurde. Auch in der vergangenen Woche wurde die Mindestanforderung von 2,0 Entscheidung pro anwesendem Entscheider nicht erzielt. Stattdessen lag die Quote bei 1,0, so schlecht wie lange nicht mehr. 

Herr … weist erneut darauf hin, dass mindestens 2,0 Bescheide pro Entscheider pro Tag erwartet werden. Diese Mindestanforderung ergibt sich auch aus der Maßnahmenvereinbarung, die im Rahmen des Führungsdialoges geschlossen wurde. Die Machbarkeit dieser Quote wird durch andere Dienststellen und einzelne Mitarbeiter in der eigenen Dienststelle belegt. 

Herr … erinnert daran, dass Asylneuverfahren innerhalb von drei Monaten abgeschlossen sein müssen. Die entsprechenden Akten müssen im Blick behalten werden und die Herstellung der Entscheidungsreife zeitnah erfolgen. 

Jeder Mitarbeiter ist dazu angehalten sich bereits mit einem Tag Vorlauf bei seinem Teamsprecher zu melden, wenn er nicht ausreichend mit Arbeit versorgt ist. Die Zielvorgabe von mindestens 2,0 Bescheiden pro Entscheider pro Tag ist hierbei bindend

4.4.2018 

Letzte Woche sind die Bescheide etwas zurückgegangen. Das durchschnittliche VZA lag bei 1,2. … Eine Steigerung der Produktivität ist dringend erforderlich. Herr … weist darauf hin, dass eine Zielzahl von mindestens zwei Bescheiden pro EE erwartet wird. 

28.3.2018 

Herr … ist erfreut über den positiven Trend und wirbt für die weitere Steigerung der Performance. … Die Zentrale in Nürnberg nimmt die bundesweiten Leistungssteigerungen positiv zur Kenntnis. … Die eingebundenen Mitarbeiter/innen werden auf den geplanten Zeitansatz hingewiesen. Eine Bearbeitungszeit von mehr als einer Stunde wird als kritisch erachtet

21.2.2018 

Die eindringliche Bitte, die bereits in der letzten Woche von Herrn … klar zum Ausdruck gebracht worden war, finde offensichtlich immer noch keinen Niederschlag in der Leistung. Herr … verweist insofern auf das Protokotl der EE-Besprechung von letzter Woche 

Es handele sich um eine völlig unzureichende Gesamtperformance, die dringend gesteigert werden müsse. Die Leitung in … wurde auch in einer Telefonkonfernz durch Herrn Knorr (Anmerkung: Leiter Operativer Bereich) angehalten, die Performance genau zu beobachten und im Zweifel Gespräche mit einzelnen Entscheidern zu führen, um die Produktivität wieder steigern zu können. Die schlechte Performance sei insbesondere nur schwer nachvollziehbar, da insgesamt ca. 70% der Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im gehobenen Dienst entfristet worden seien. Den zukünftig entfristeten Kollegen werde ein Vertrauensvorschuss entgegen gebracht. Man erwarte, dass dieser nicht enttäuscht werde. 

21.2.2018: "Herr … betont eindringlich, dass es so nicht weitergehen kann und bittet um eine signifikante Steigerung der Arbeitsergebnisse."

21.2.2018: "Herr … betont eindringlich, dass es so nicht weitergehen kann und bittet um eine signifikante Steigerung der Arbeitsergebnisse." © Peter Endig (dpa)

Das Bundesamt stehe beim Abbau der Verfahren gegenüber der Länder- und Bundespolitik in der Verantwortung; nicht zuletzt deshalb werde eine deutliche Steigerung der Performance erwartet. Die Zentrale werde sich eng um solche Dienststätten kümmern, bei denen die Performance weiterhin schlecht bleibe. Herr … appeliert eindringlich an die Mitarbeiter, zu berücksichtigen, was Herr … bereits in der vergangenen Entscheiderbesprechung gesagt hat. Jeder Mitarbeiter sollte sich in Hinblick auf die klaren Signale aus der Zentrale fragen, womit die schlechte Performance zu begründen ist und wie sie wieder gesteigert werden könne. Herr … betont eindringlich, dass es so nicht weitergehen kann und bittet um eine signifikante Steigerung der Arbeitsergebnisse

7.2.2018 

Die Performance in der KW (Anmerkung: Kalenderwoche) 5 lag bei 0,8 Entscheidungen pro Entscheider. Auch in dieser Woche wurden pro Tag und Entscheider bislang 0,8 Entscheidungen getroffen. Herr … bittet darum, die Arbeitsleistung deutlich zu steigern

24.1.2018 

Die Zahlen der vorherigen Woche seien zufriedenstellend gewesen. Durchschnittlich seien ca. 1,0 Bescheide pro Person und Tag versendet worden. In der Woche davor seien sogar durchschnittlich ca. 1,4 Bescheide ergangen. Eine erneute Steigerung sollte angestrebt werden. 

17.1.2018 

Die Arbeitsergebnisse für Montag und Dienstag dieser Woche (15. Und 16.01.2018) seien mit einem Schnitt von ca. einem Bescheid pro Person. ebenfalls solide, sollen aber weiter gesteigert werden. 

Des Weiteren wurde angesprochen, dass die anvisierten Zie[e des Bundesamtes fast erreicht worden seien. Bezüglich der genaueren Zahten und weitere Informationen gäbe es eine Power-Point Präsentation im Inforport zu diesem Thema, welche man sich gegeben fa[[s anschauen könne. 

10.1.2018 

Gestern wurden 47 Entscheidungen getroffen, eine Anhörung durchgeführt, dies entspricht 0,8 Einheiten und sollte unbedingt wieder gesteigert werden 

3.1.2018

Herr Knorr (Anmerkung: Leiter Operativer Bereich) teilte in der letzten Telefonkonferenz mit, dass im Jahr 2017 über 1.000.000 Anhörungen durchgeführt und über 600.000 Entscheidungen durch das Bundesamt getroffen worden seien. Über diese hohe Arbeitsleistung sprach Herr Knorr den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Bundesamtes seinen Dank aus, welchen Herr … an dieser Stelle auch ausdrücklich an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Anhörungszentrums … weitergibt.

Des Weiteren verwies Herr … auf die für Mitte Januar 2018 geplante Pressekonferenz mit der Leitung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge und dem Bundesinnenminister. Die Leitung des Bundesamtes bittet eindringlich darum, bis zu diesem Zeitpunkt eine Zielvorgabe von weniger als 60.000 anhängigen, noch offenen Verfahren zu erreichen. Herr … appelliert an die anwesenden Entscheiderinnen und Entscheider, das Ziel von weniger als 60.000 anhängigen Asylverfahren … nicht aus den Augen zu verlieren. Nach Möglichkeit und trotz der derzeitig schwierigen Lage bezüglich entscheidungsreifer Akten bittet Herr … darum, zur Erreichung der Ziele entscheidungsreife Verfahren so zahlreich wie möglich zu bescheiden. 

20.12.217 

Die Ergebnisse der letzten Woche seien erfreulich gewesen. Es habe 1,8 Entscheidungen im Schnitt gegeben, kein Team habe unter 1,0 gelegen. Bestes Team sei Team 2 mit 3,24 Entscheidungen gewesen. Gestern seien durchschnittlich 6 Entscheidungen getroffen worden. Auch bei schwieriger Aktenlage werden alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter darum gebeten ihr Bestes zu geben und die Performance weiter zu steigern. 

13.12.2017 

Seitens der Referatsleitung wird deutlich betont, dass die Auswahl der Kandidaten für eine Prämienvergabe anhand objektiver Maßstäbe erfolgte; ein wesentliches Kriterium war dabei der Nachweis einer "herausragenden Leistung". 

29.11.2017 

Am gestrigen Tag sind für die Dienststelle … insgesamt 43 zugestellte Bescheide und zwei durchgeführte Anhörungen erfasst worden. Dies entspräche nicht den Erwartungen des Amtes. … Die Erledigungszahlen seien meilenweit von den Erwartungen des Amtes entfernt.

15.11.2017 

Herr … teilt mit, dass am gestrigen Tag für die Dienststelle … insgesamt 79 zugestellte Bescheide/Entscheidungen erfasst worden sind. Es sei indes keine Anhörung statistisch gemeldet worden. Das Ergebnis entspricht deutlich nicht den Erwartungen der Leitung und des Bundesamts. 

25.10.2017: "Negativ ist allerdings aufgefallen, dass die Zahl der erfassten Bescheide … bei lediglich 42 liegt. Die Entwicklung der Zahlen wird seitens der Zentrale im Blick gehalten."

25.10.2017: "Negativ ist allerdings aufgefallen, dass die Zahl der erfassten Bescheide … bei lediglich 42 liegt. Die Entwicklung der Zahlen wird seitens der Zentrale im Blick gehalten." © Christina Flohr

25.10.2017 

Die Ergebnisse der letzten Woche sind weiter ausbaufähig. Negativ ist allerdings aufgefallen, dass die Zahl der erfassten Bescheide … bei lediglich 42 liegt. Die Entwicklung der Zahlen wird seitens der Zentrale im Blick gehalten. 

11.10.2017 

Herr … (Referatsleiter) und Herr Knorr werden in letzter Instanz über die Beurteilung und die damit einhergehende Entfristung der Mitarbeiterlnnen in … entscheiden. Ein Votum wird durch die hiesige Leitung erfolgen. Es wurde darauf hingewiesen, dass die Erledigungszahlen aus ... im Vergleich zu … wesentlich niedriger sind. 

27.9.2017 

Auch wenn der Bewertungszeitraum für die Entfristungen bald endet, heißt das nicht, dass die Arbeitsleitung wieder nachlassen darf. Herr … erwartet von allen Mitarbeitern gleiche Leistungen. Schlechte Leistungen müssten sich auch im Arbeitszeugnis niederschlagen. 

20.9.2017 

Die Ergebnisse der letzten Woche liegen bei 1,9 Entscheidungen, die Tendenz sieht besser aus und Herr … hofft, dass der positive Trend anhält. … Das Team … liegt weit vorne. Allerdings liege der Durchschnitt in anderen Dienststellen deutlich höher

ln Sachen Entfristung teilt Herr … mit, dass das BAMF viele gute Mitarbeiter in der Zukunft benötigt. Es muss jedoch eine auf Leistung begründete Auswahl erfolgen. Mitarbeiter, die den Ansprüchen des Amtes nicht genügen, können auf längere Sicht nicht weiter beschäftigt werden. 

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