Gefährliches Chaos: Wie das Bamf Sicherheit vorgaukelt

25.3.2018, 10:00 Uhr
Gefährliches Chaos: Wie das Bamf Sicherheit vorgaukelt

© Eduard Weigert

Lange kam das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) glimpflich davon. Nach Würzburg, als ein minderjähriger Flüchtling mit der Axt mehrere Reisende in einem Regionalexpress angriff und teils schwer verletzte. Nach Ansbach, als sich ein Syrer vor einem Festivalgelände in die Luft sprengte und zum Glück kein anderer körperlich zu Schaden kam.

Immer suchte man in der Nürnberger Frankenstraße sofort die Asylakte des Täters hervor, bangend, dass dieses Mal bei der Anhörung oder der Entscheidung Fehler passiert waren: Sicherheitsrelevantes nicht gemeldet wurde. Schwindel nicht entdeckt wurde. Mitarbeiter ganz offensichtlich überfordert waren. "Da hat man lange Glück gehabt", sagt ein Insider. Dass durch einen Fehler des Asylamts ein Anschlag erst möglich wird, gar Menschen sterben, ist die größte Angst der Behörde – und sie ist nicht unbegründet.

Marode und gefährlich

Als dann der Bundeswehrsoldat Franco A. aufflog und wegen des Verdachts, rechtsextreme terroristische Anschläge in Deutschland geplant zu haben festgenommen wurde, schien das Glück der Behörde aufgebraucht zu sein. Franco A.s Akte ist ein Zeugnis des Versagens: Ein deutscher Oberleutnant erhält als vermeintlicher Syrer Schutz; die Anhörung wird auf Französisch geführt. Seine angebliche Vita weist diverse Ungereimtheiten auf. Die Entscheidung ist eine Aneinanderreihung austauschbarer Satzbausteine. Besser als an der Akte Franco A.s hätte man nicht zeigen können, wie marode und  sicherheitspolitisch gefährlich das deutsche Asylsystem ist.

Spätestens hier, vor nun einem Jahr, hätte die Politik die Arbeitsweise des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge hinterfragen müssen. Mit all den Konsequenzen, die das im politischen Geschäft hat — bis hin zu Rücktritten Verantwortlicher. Das Durchwursteln hätte ein Ende haben müssen. Und eine ernsthafte, konsequente und transparente Aufarbeitung der Schwachstellen und Defizite, die den Fall Franco A. erst möglich gemacht hatten, beginnen müssen.

Es passierte: wenig. Der Fall wurde stattdessen bald als Problem der Bundeswehr, die ein Problem mit rechtsextremem Gedankengut habe, behandelt. Und das Bamf war mal wieder davongekommen.

Schnelligkeit vor Gründlichkeit

Dabei werden in keiner deutschen Behörde so oft Missstände angeprangert wie im Bamf: Kaum geschulte Mitarbeiter, die über die Zukunft und das Leben von Schutzsuchenden entscheiden sollen – zusätzlich von harten Zahlenvorgaben unter Druck gesetzt. Bescheide, die von Gerichten deutlich als schlampig kritisiert und in großer Zahl einkassiert werden. Anerkennungen, die lange Zeit ohne zu zögern ausgestellt wurden — nur weil jemand auf einem Fragebogen angab, Syrer zu sein.

All das passierte, um die Asylverfahren zu beschleunigen. "Schnelligkeit geht vor Gründlichkeit“, kritisierten Asylexperten früh. Recherchen der Nürnberger Nachrichten und der Welt am Sonntag zeigen nun aber erstmals, wie groß die Risiken sind, die dafür in Kauf genommen wurden – und immer noch werden. Und das, obwohl die Behörde vorgaukelt, man habe alles im Griff, wisse genau, wer im Land sei. Betrüger oder getarnte Terroristen hätten es heute längst nicht mehr so einfach, heißt es. Es ist eine Fata Morgana, die das Bamf da vorspiegelt.

Es war einmal die Sorgfalt

Das deutsche Asylsystem krankt schon lange: Vor der sogenannten Flüchtlingskrise war das Bamf ein behäbiger Apparat, Asylbewerber warteten teils monate- oder gar jahrelang, bis endlich über ihren Antrag entschieden wurde. Doch immerhin wurden die Anträge sorgfältig geprüft, bei Zweifeln an Unterlagen Gutachter hinzugezogen. Anhörung und Entscheidung lagen in einer Hand, die Mitarbeiter wurden intensiv geschult und oft mit juristischem Hintergrund.

Bamf-Präsidentin Jutta Cordt stand wegen der Affäre in der Bremer Außenstelle unter Druck und musste ihren Posten räumen.

Bamf-Präsidentin Jutta Cordt stand wegen der Affäre in der Bremer Außenstelle unter Druck und musste ihren Posten räumen. © Carmen Jaspersen/dpa

Das funktionierte bei 30.000 Asylbewerbern, die noch vor zehn Jahren kamen, das ging auch noch einigermaßen bei gut 100.000 im Jahr 2013. Dann verdoppelten sich die Zuzüge erst, später gerieten sie außer Kontrolle. Es kam die Flüchtlingskrise und mit ihr viele Hunderttausende, die Asyl beantragten und das deutsche System zum Kollabieren brachten.

Der damalige Amtsleiter Manfred Schmidt agierte angesichts der steigenden Zahlen glücklos und überfordert, die Länder – unzufrieden mit der schleppenden Abwicklung der Anträge – forcierten seine Absetzung. Es folgte: Frank-Jürgen Weise. Ein Managertyp, der schon die Bundesagentur für Arbeit auf Effizienz getrimmt hatte. Das sollte nun auch mit dem Bamf gelingen. Sein Auftrag: Die sich stapelnden Asylanträge abarbeiten. Und zwar schnell.

Viele Flüchtlinge kommen ohne Dokumente

Das Bearbeiten von Asylanträgen ist mitunter eine diffizile Sache. Sicherlich existieren einfach gelagerte Fälle, in denen eine Ablehnung oder eine Anerkennung ganz offensichtlich ist – etwa bei einem syrischen Flüchtling. Doch oft ist es nicht so eindeutig: Es gibt Grenzfälle und es muss abgewogen werden, ob die Angaben des Bewerbers stimmen. Zentral dafür ist die Identitätsfeststellung.

Sie ist die Grundlage für jedes Verfahren – ob jemand angenommen oder abgelehnt wird, hängt eng mit seinem Herkunftsland zusammen. Jedes Land hat seine Besonderheiten, nicht umsonst gibt es im Bamf länderspezifische Unterlagen und Schulungen. Auch Abschiebungen sind nur möglich, wenn zweifelsfrei geklärt ist, aus welchem Land ein Antragsteller stammt.

Doch auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise kamen knapp 80 Prozent der Asylbewerber ohne Ausweisdokumente. Inzwischen ist die Zahl gesunken, aber noch immer reist laut Sicherheitskreisen mehr als die Hälfte ohne Pass, Ausweis oder Führerschein ein. Innerhalb kürzester Zeit gelangten 700.000 Menschen nach Deutschland, deren Identität nicht eindeutig geprüft war, zeigt eine interne Regierungsbilanz.

"Systemische Mängel" bei den Verfahren

Viele von ihnen sind Syrer, sie sind absolut schutzbedürftig. Doch immer wieder gibt es Menschen, die sich als Syrer ausgeben. Lange machte man es ihnen extrem leicht: Monatelang reichte es, ein paar Fragen schriftlich zu beantworten und kurz darauf war die Anerkennung da. Es sei im Bamf schon früh klar gewesen, dass es ein massives Sicherheitsproblem gebe, sagen Insider. Warnungen seien aber verpufft.

Der Personalrat des Bamf ist die erste Instanz aus der Behörde, die Alarm schlägt. Es gebe "systemische Mängel" bei den Verfahren und der Identitätsprüfung. Dies erleichtere das "Einsickern von Kämpfern der Terrormiliz IS nach Mitteleuropa" und stelle ein "erhöhtes Gefährdungspotenzial dar", warnt er im November 2015. Kurz darauf töten IS-Terroristen in Paris 130 Menschen – fast alle Attentäter waren als Flüchtlinge getarnt nach Frankreich eingereist.

Trauer und Wut

In Deutschland wächst bei den Sicherheitsbehörden das Bewusstsein, die Kontrolle verloren zu haben. Auch das Sicherheitsreferat im Bamf schlägt Alarm, täglich gibt es mehr Hinweise aus den Außenstellen. Im Sommer werden die Befürchtungen Realität: Die Anschläge von Ansbach und Würzburg ereignen sich binnen weniger Tage, im Dezember tötet der Tunesier Anis Amri zwölf Menschen, als er am Berliner Breitscheidplatz mit einem Lkw in einen Weihnachtsmarkt fährt.

Zwischen die Trauer mischt sich Wut: Amri war mit rund einem Dutzend Identitäten registriert. Nur fiel das niemandem auf. Auch dieses Mal kommt das Bamf seltsam unbeschadet aus der Affäre, wieder rücken andere Behörden in den Fokus: Die Berliner, wo Amri als Kleinkrimineller bekannt war. In Nordrhein-Westfalen, wo das Landeskriminalamt das Innenministerium in Düsseldorf vor dem späteren Attentäter gewarnt hatte. Wenige Monate später folgt der Fall Franco A.

Verlorene Expertise

Im Bamf stapeln sich unterdessen die Sicherheitshinweise, zeitweise sind mehr als Tausend Meldungen unbearbeitet. Das Lesen, die Auswertung der Asylprotokolle, einen Bericht für Verfassungsschutz, Bundeskriminalamt oder Bundesnachrichtendienst zu verfassen – all das dauert seine Zeit. Für die Sicherheitsbehörden ist es eine wertvolle Analyse. Doch den vorhandenen Mitarbeitern wächst die schiere Masse über den Kopf.

Die Bamf-Spitze beschließt kurzerhand, das Problem zu verlagern. Künftig sollen die Mitarbeiter des Referats die Hinweise nicht mehr selber prüfen, sondern direkt an die Sicherheitsbehörden weiterschicken. Ihr Job verkommt zu einer reinen Verwaltungstätigkeit, ihre Expertise ist verloren. Und die Sicherheitsbehörden? Die haben ein Problem. Nun sind sie es, die vor einem Berg von Hinweisen – nicht vorsortiert und eingeordnet – stehen. Wichtiges Expertenwissen aus dem Bamf gibt es für sie nicht mehr.

Das Innenministerium erfährt davon erst im Nachhinein. Emily Haber, damals dort beamtete Staatssekretärin, wird erst, als die Sicherheitsbehörden ihrer Empörung Luft verschaffen, informiert. Haber will sich für diesen Artikel nicht äußern, informierte Kreise berichten aber: Sie sei ungewöhnlich verärgert gewesen. Dass eine untergeordnete Behörde eine solch weitreichende Entscheidung trifft, ohne das Ministerium einzubeziehen, ist ein ungeheuerlicher Vorgang.

"Das Bamf hat ein Eigenleben entwickelt"

Es wird nachverhandelt, dann einigt man sich darauf, dass künftig die Mitarbeiter der Außenstellen Sicherheitshinweise präziser formulieren sollen. Und zwar zügig.Das Problem: Geschult sind sie dafür nicht. Das werde nachgeholt, verspricht das Bamf.

Die Geschichte ist exemplarisch für die Loslösung der Asylbehörde vom Innenministerium. Sie begann mit der Einsetzung von Frank-Jürgen Weise als Amtsleiter. Der Reserveoffizier kam auf Wunsch des Kanzleramts, ihm fühlte er sich eigentlich verpflichtet. Die offizielle Zuordnung zum Innenministerium war für ihn nur eine lästige Formalie. In Wahrheit koppelte sich das Amt immer mehr ab. "Das Bamf hat längst ein Eigenleben entwickelt", sagt ein hochrangiger Vertreter des Innenministeriums. Als formal übergeordnete Behörde habe man alles versucht. Aber die Kontrolle sei entglitten.

Eine "verdammte Pflicht"

Selten zeigen sich die Differenzen so deutlich wie bei einer Sitzung des Bundestags-Innenausschusses: Die Runde behandelt im Mai 2017 den Fall Franco A. Der damalige Innenminister Thomas de Maizière ist gekommen, ebenso Frank-Jürgen Weise und seine Nachfolgerin Jutta Cordt. Das Amt versucht souverän zu wirken: Ja, bei Franco A. seien auf allen Ebenen Fehler passiert, doch eine stichprobenartige Überprüfung von 2000 Asylentscheidungen habe keine ähnlichen Defizite aufgezeigt. Franco A. sei der bedauerliche Fall des Versagens mehrerer Einzelpersonen.

Frank-Jürgen Weise – inzwischen vom Bamf-Leiter zum "Beauftragten der Bundesregierung für das Integrierte Flüchtlingsmanagement" ernannt, tritt besonders selbstbewusst auf. "Asyl ist im Endeffekt erst einmal ein Schutzrecht und das Bamf ist keine Sicherheitsbehörde."

Dabei ist Sicherheit schon immer eine feste Säule im Asylamt – auch die intensive Zusammenarbeit mit Sicherheitsbehörden. De Maizière widerspricht Weise deutlich: "Natürlich sind Sicherheitsaspekte bei der Prüfung des Asyl- und Schutzstatus wichtig." Und: "Es ist die verdammte Pflicht und Schuldigkeit des Bamf, Sicherheitshinweisen, wenn sie irgendwie auftauchen, nachzugehen." Darüber lasse sich nicht streiten.

Mehr Schein als Sein

Die neue Bamf-Chefin Jutta Cordt versucht einzulenken. Man habe die Mitarbeiterzahl im Sicherheitsreferat aufgestockt und gehe Hinweisen "tagesaktuell" nach. Wenig später ergeht die Anweisung an das Sicherheitsreferat, Hinweise nicht mehr zu prüfen, sondern gleich an die anderen Behörden weiterzuleiten. Zügig eben. Das klingt gut, aber schnell bedeutet nicht, dass dies sinnvoll ist.

Doch so ist es im Bamf seit Monaten: Immer den Eindruck erwecken, man habe alles unter Kontrolle. Es ist die Größer-, Besser- und Effizienter- Methode, die Frank-Jürgen Weise schon in der Bundesagentur für Arbeit propagiert und mit ins Bamf gebracht hat. Toller Anschein, doch beim genauen Blick offenbaren sich Probleme.

"Das Eis wird dünner"

Auch bei den sogenannten "IT-Assistenzsystemen zur Identitätsfeststellung". Mit großem Bohei werden sie am 25. Juli 2017 in Bamberg vorgestellt. Dabei sind: Bamf-Chefin Cordt, ihr Vorgänger Weise und der damalige Vorsitzende der Innenministerkonferenz, Markus Ulbig. Sie präsentieren eine Reihe von neuen digitalen Instrumenten, die das System sicherer machen sollen – darunter das Auslesen von Handys. Zwei weitere Säulen sind die Sprachbiometrie und die Transliteration.

"Das Eis für diejenigen, die sich rechtswidrig verhalten, wird dünner", jubelt Ulbig. Die neuen Assistenzsysteme seien "ein Element des Sicherheitskonzeptes", erklärt Cordt. Doch ist das effektiv? Es sind erhebliche Zweifel angebracht.

Der Computer soll helfen

In Bamberg sitzt ein dunkelhaariger Mann im blau-weißen Ringel-T-Shirt namens Emad Essa vor einem Computer und liest knapp zwei Minuten einen arabischen Text vom Bildschirm ab. Der Rechner vergleicht seinen Akzent mit Tausenden Sprachproben und meldet kurz darauf: Essa stammt aus Syrien.

"Revolutionär" sei das, schwärmt Markus Richter, Bamf-Abteilungsleiter Infrastruktur und IT. Bisher habe man im Zweifelsfall Gutachten einholen müssen, um Dialekte einer Region zuzuordnen und so die Angaben der Antragssteller zu verifizieren. Das habe bis zu einem Jahr dauern können. Nun sei das in Minuten erledigt.

Die Bundesregierung gibt sich in einer Antwort auf eine Kleine Anfrage der Linksfraktion im vergangenen Dezember überaus überzeugt von dem System. Es gebe nach Kenntnis der Regierung in keinem anderen Land der Welt ein "vergleichbares Verfahren". Die Fehlerquote liege bei nur 20 Prozent, es sei von einer weiteren Optimierung im Laufe des Jahres 2018 auszugehen. Das Asylamt sei zuständig für die Qualitätssicherung und befinde sich im Austausch mit "verschiedenen Institutionen und wissenschaftlichen Einrichtungen".

Eine spannende Idee - eigentlich

Davon hören Experten zum ersten Mal. Vor mehreren Jahren sei er von der Behörde immer wieder angefragt worden, um anhand einer Sprachprobe zu prüfen, ob ein Asylbewerber das richtige Herkunftsland angegeben habe, sagt einer, der als einer der besten Kenner der arabischen Sprache in Deutschland gilt. Seinen Namen will er nicht in der Zeitung lesen. Was zählen soll, ist seine Expertise, meint er.

Doch dass die vom Bamf angezapft wurde, ist lange her. Mit ihm habe niemand vom Asylamt gesprochen, um eine solche Software zu entwickeln, sagt er. Und auch nicht mit den anderen wenigen deutschen Experten in diesem Bereich. Die Idee der Sprachbiometrie sei spannend, aber: "Es ist, als würde ein Arzt Sie lediglich wiegen und die Größe messen – und anschließend mit voller Überzeugung erklären, Sie hätten Krebs."

Nicht mehr als "ein Spielzeug"

Das alleinige, vernichtende Urteil eines Außenstehenden? Bamf-Mitarbeiter, die die Software getestet haben, kommen zu einem ähnlichen Schluss. Sie berichten, dass Maghreb-Staaten nicht entdeckt würden; dabei kommen von hier besonders viele Asylbewerber, die versuchen, sich als Syrer durchzumogeln. "Ein nettes Spielzeug, aber nicht mehr", sagt man intern.

Und dann gibt es noch die Geschichte der Bamf-Dolmetscherin. Vor den Augen des damaligen Innenministers de Maizière spricht sie in das Mikrofon. Das Ergebnis: 71,7 Prozent: unbekannt. 10,8 Prozent: arabisch-levantinisch. 9,3 Prozent: persisch. 5,8 Prozent: deutsch. Sie sprach tatsächlich in ihrer arabisch-levantinischen Muttersprache. Das Bundesinnenministerium schreibt auf Anfrage, man gehe im Laufe des Jahres von einer Optimierung bezüglich der Fehlerquote aus - sie habe sich bereits reduziert.

80 Prozent der Namen sind fragwürdig

Probleme gibt es auch bei einem zweiten System, das in Bamberg vorgestellt wurde: die Transliteration. Arabische Namen geben Hinweise auf diverse Herkunftsmerkmale: Region, Stamm oder gar Konfession. Das Bamf will diese Informationen nutzen: Ein Asylbewerber tippt seinen arabischen Namen in einen Computer ein und der spuckt Hinweise auf ein mögliches Herkunftsland aus. Es sei eine "Plausibilisierung und Absicherung der namensbasierten Identitätsangaben".

Das Bamf hatte eine niederländische Firma beauftragt, sie passte die Software den deutschen Bedürfnissen an, fragte Wünsche in den Außenstellen ab. Der Name einer Probeanalyse: "Pinocchio". Bei Testläufen mit Datensätzen aus dem Bamf-Fundus zeigte sich dem Vernehmen nach, wie notwendig eine solche Software sein würde: Mehr als 80 Prozent der gespeicherten Namen von Asylbewerbern sind mindestens fragwürdig. Das kann durchaus an Übersetzungsfehlern liegen, nicht alle müssen Betrüger sein. Doch Handlungsbedarf besteht, das ist klar.

Wechsel im letzten Moment

In Bamberg wird die Software schließlich vorgestellt, von Cordt, Weise und Ulbig ausführlich gelobt. Schon wenige Tage später soll sie im ganzen Bundesgebiet eingeführt werden. Doch mit einem Mal ist davon keine Rede mehr. Implementiert wird das Programm eines anderen Unternehmens.

Es ist nicht ganz klar, was in jenen Tagen genau passiert,warum die Software der Firma aus den Niederlanden plötzlich doch nicht mehr eingesetzt wird. Das Innenministerium erklärt, dass die jetzt eingesetzte Software weniger kann, als damals bei der Bamberger Pressekonferenz verkündet wurde. Doch warum dies erst Tage vor der geplanten Einführung erkannt wird, sagt man nicht.

Auf Nachfrage erklärt das Innenministerium lediglich, man habe für den flächendeckenden Wirkbetrieb eine andere Anwendung ausgewählt. Diese entspreche den Anforderungen des Bundesamtes in dem geforderten Umfang.

Das Chaos hat System

Immer deutlicher aber wird das Durcheinander. Seit inzwischen über zwei Jahren herrscht ein gefährliches Chaos im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. Es ist sicherlich primäre Aufgabe der Behörde, Asylverfahren durchzuführen und für Flüchtlingsschutz zu sorgen. Gleichzeitig soll und muss sie aber für Sicherheit sorgen. Nur so kann unser Asylsystem funktionieren. Und doch wird diese Sicherheit seit vielen Monaten simuliert statt gewährleistet.

Denn selbst diese neuen Methoden — die wie gezeigt unzureichend funktionieren – werden längst nicht flächendeckend angewandt. Gerade einmal bei 7000 Personen ist etwa das Instrument der Dialekt-Erkennung zum Einsatz gekommen. Dabei reisen Monat für Monat rund 10.000 Asylsuchende ein — zwischen September und Januar mehr als 50.000.

Die Sicherheit musste leiden

Jutta Cordt hat sich im Übrigen vor wenigen Tagen an Mitglieder des Bundestags gewandt. Man habe 2017 ein Augenmerk darauf gelegt. "wie wir unseren Beitrag zur Sicherheit noch optimieren können", heißt es darin. Gerne würde sie die Details bei einem persönlichen Gespräch erläutern.

"Wir schaffen das", sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel zu Beginn der Flüchtlingskrise. Und das Asylsystem wurde in der Folge auf Effizienz getrimmt. Bei der Frage "Schnelligkeit oder Gründlichkeit?" entschied man sich für Ersteres. Zulasten der Sicherheit. Die Folgen zeigen sich im Fall Amri, im Fall Franco A.

Man hoffe, heißt es in Sicherheitskreisen, dass keine weiteren, ähnlichen Fälle passieren. Es ist eine Hoffnung, mehr nicht.

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