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2. Juli 1971: Nachhilfe in Unfallkunde

2.7.2021, 07:00 Uhr
2. Juli 1971: Nachhilfe in Unfallkunde

© Contino

In Vorträgen, Filmvorführungen und zum Teil hitzigen Diskussionen sowie bei praktischen Vorführungen vor der Steintribüne war nicht zu verkennen, wie sehr manchmal die Meinungen der Beteiligten auseinandergehen. Mit diesem „Nachhilfeunterricht in Unfallkunde“ sollte sichergestellt werden, daß auch dem Schuldigen in einem Verkehrsunfall-Verfahren in jedem Fall Recht widerfährt.

Bei dieser Tagung waren die Richter des Landgerichts mit 20 Teilnehmern am stärksten vertreten, gefolgt von den Kollegen des Amtsgerichts und der Staatsanwaltschaft mit je zehn. Zu ihnen gesellten sich mehrere Sachverständige sowie Vertreter des Nürnberger Polizeipräsidiums, der Verkehrswacht als veranstaltende Organisation und der Landpolizei.

Unterschiede beim Schätzen

Im Mittelpunkt der Diskussionen im Tiergarten-Hotel standen am Vormittag die Unfallspuren als wichtige Hinweise auf einen Unfallhergang. Das Resultat dieser Aussprache, der auch Sachverständige des Technischen Überwachungsvereins beiwohnten, war die Tatsache, daß heute bei einer Gerichtsverhandlung oft zu geringe Werte bei der Bremsverzögerung zugrunde gelegt werden – zugunsten des Angeklagten.

Wie kann man eine Verbesserung der Spurensicherung durch die zunächst mit dem Vorfall beschäftigten Polizeibeamten erreichen? Durch bessere technische Hilfsmittel, die nicht selten eine Menge Geld kosten und vor allem durch Fahrtenschreiber in den beteiligten Fahrzeugen. Dazu der Tagungsleiter, Oberstaatsanwalt Dr. Werner Bockelt, Chef der Verkehrsabteilung bei der Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth: „Der Fahrtenschreiber ist ein unbestechlicher Beweis.“

Zugunsten des Angeklagten

Mehrfach wurde der Polizei vorgeworfen, sie würde schlecht die Spuren an Unfallorten sichern. Wie schwierig das aber letztlich ist, bewies am Nachmittag eine Demonstration vor der Steintribüne, sehr gut vorbereitet von Hans Höllriegel, dem Chef der Nürnberger Verkehrswacht. Zunächst mußten die Tagungsteilnehmer von der Tribüne aus die Geschwindigkeit vorbeifahrender Autos und sich begegnender Wagen schätzen. Die Unterschiede waren verblüffend. Ein Beweis dafür, wie wenig Beweiskraft Geschwindigkeitsschätzungen von Zeugen haben dürfen. Als nächstes standen Bremsversuche auf dem Programm.

Die Nürnberger Stadtpolizei hatte zwei Wasserwerfer aufgeboten, die die Piste in den Zustand versetzten wie nach einem Regen. Wieder wurden die Bremswerte auf der nassen Fahrbahn festgestellt. Und zum Schluß standen mehrere Fahrzeuge bereit, die von einer Nürnberger Autofirma zur Verfügung gestellt worden waren. An ihnen wurden praktisch Kleinstunfälle demonstriert, insbesondere beim Einparken, wobei es häufig auch gleich zu Unfallflucht kommt.

Muß ein Unfallverursacher bemerken, wenn er einen anderen Wagen leicht streift? Diese Frage muß nach der Demonstration bejaht werden. Auch wenn man häufig das Geräusch der Kollision nicht hörte, dann nahm man zumindest die Erschütterung wahr. Damit ist die Ausrede vieler Parkunfall-Flüchtiger widerlegt, die vor Gericht erklären, sie hätten von dem Unfall gar nichts gemerkt.

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