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13. Juli 1971: Gegner der Tagesmoden

13.7.2021, 07:00 Uhr
13. Juli 1971: Gegner der Tagesmoden

© Contino

Kulturreferent Dr. Hermann Glaser erklärte gestern, daß er die „Initiative“ zu den Verhandlungen mit Heigl ergriffen habe. Glaser hofft „sehr, daß Heigl die Mahlow-Position ab 1. Januar 1972 übernimmt.“ Als wir gestern mit Curt Heigl sprachen, bestätigte er sein Interesse und die Bereitschaft, mit der Stadt einen Vertrag zu schließen.

Nachdem Dr. Dietrich Mahlow wegen des vorerst gescheiterten Kunstzentrum-Projektes überraschend seinen Vertrag mit der Stadt Nürnberg gekündigt hatte, da er die Sammlung internationaler Kunst zu einem „Basiskonzept“ schrumpfen sah, schien die Nachfolge-Frage zunächst unlösbar. Da mit Mahlow auch gleichzeitig die Mitarbeiter Dr. Eberhard Roters und Dr. Janni Müller-Hauck ihre Kündigungen ins Rathaus schickten, begannen über die Zukunft der kommunalen Kunstsammlungen deprimierende Diskussionen.

Wenn auch immer häufiger Heigls Name für die vakante Chefposition genannt wurde, so fehlte bisher immer Heigls klares Ja für diese Kandidatur. Dr. Hermann Glaser meint, man solle diesen Posten nicht ausschreiben. Er verhandelte mit Heigl und will seinen Kandidaten in Kürze dem Stadtrat präsentieren.

Heigl, der vor 15 Jahren von München nach Nürnberg kam, um in der Landesgewerbeanstalt die künstlerischen Aspekte in der industriellen Formgebung publik zu machen, begann hier am Nullpunkt. Zuvor hatte er an der Münchner Kunstakademie vor allem bei Professor Hillerbrandt Architektur studiert.

Heigl machte sich in den letzten Jahren durch hervorragende Ausstellungen einen Namen. So holte er vor zehn Jahren zum erstenmal die „Ars Viva“ nach Nürnberg; viel beachtet wurde auch die Schau „Finnlandia“; seine Versiertheit in der Präsentation von Kunst verhalf auch der „Ars phantastica“ – der von der Dürer-Gesellschaft 1967 im Schloß Stein veranstalteten Ausstellung – wesentlich mit zu ihrem überregionalen Echo.

Der Aufbau der neuen Norishalle (Architekt: Heinz Graber) als ideale Ausstellungsstätte gehört zu Heigls Verdiensten. Für Heigls kollegiale Zusammenarbeit mit Dietrich Mahlow zeugt seine Mitwirkung bei der letzten Biennale in Venedig.

Wenn es noch eines Beweises für die Qualitäten Curt Heigls als Arrangeur von Ausstellungen bedurft hätte, so hat er ihn zum Dürer-Jahr mit seiner brillanten Schau „Gold + Silber – Schmuck + Gerät“ in der Norishalle geliefert. Solidität und Eleganz der Präsentation waren fast immer die hervorstechendsten Merkmale der Heigl-Ausstellungen in der Bayerischen Landesgewerbeanstalt.

Modernität um jeden Preis ist dabei niemals seine Devise gewesen. Von Haus aus Architekt, seit Jahrzehnten im Umgang mit erstrangigen Ergebnissen der industriellen Formgebung, dem Design, vertraut, tendiert Heigl zu einem Brückenschlag zwischen den drei Bereichen Architektur, Design und bildender Kunst, zwischen denen es für ihn nur fließende Grenzen gibt.

Wenn Heigl auf der einen Seite dem hektischen Mode-Avantgardismus mißtraut, so akzeptiert er keineswegs blind den Ausstellungs-Mechanismus des konventionellen Kunstbetriebs: „Wir stehen heute an dem Punkt, an dem man sich ehrlich fragen muß: Soll man noch Ausstellungen im konventionellen Sinne machen, und wenn ja, wie haben sie dann auszusehen?“ So stellt Heigl folgerichtig auch künftige Biennalen in Nürnberg in Frage. Er tendiert zu einer rationellen Kooperation mit anderen westdeutschen Kunsthallen, bei der gemeinsam Ausstellungskonzepte erarbeitet werden sollen.

Mit Heigl wird ein Mann die Direktion der Nürnberger Kunsthalle übernehmen, der sich gegen die esoterische Abtrennung der Kunst vom täglichen Leben wendet und für ein Selbstverständnis der Moderne plädiert.

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