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15. Dezember 1971: Deutschlands erstes Klärwerk mit Parfüm-Einspritzpumpe

15.12.2021, 07:00 Uhr
15. Dezember 1971: Deutschlands erstes Klärwerk mit Parfüm-Einspritzpumpe

© Rudolf Contino

Täglich werden dort fast zehn Liter verbraucht – nicht etwa von Arbeitern, die den kläranlageneigenen Duft nicht mit nach Hause nehmen möchten und ihn deshalb mit Wohlgerüchen übertünchen wollen, vielmehr vom Werk selbst als ein ganz spezieller Beitrag zum Umweltschutz. Kläranlagen werden in aller Regel an den Rand einer jeden Stadt verbannt, wo sie still vor sich hin stinken. Nicht so in Nürnberg. Der genannte Betrieb liegt in bebautem Gebiet und nicht selten führen die Nürnberger Klage darüber, daß sie die Nase wieder einmal voll hatten. Häufiger noch schimpfen darüber die Bewohner des angrenzenden Fürther Stadtgebietes, denen der Ostwind Duftproben des Nürnberger Abwassers zuführt.

Einen Tag lang unterwegs

Deshalb ließ Dr. Hans Hartmann, Chef aller Nürnberger Abwässer, Parfümeure kommen, Spezialisten, die aus einem Geruch Einzelkomponenten erschnuppern können. Die liefen einen Tag lang schweigsam und mit flatternden Nasenflügeln durch die Gegend und verschwanden wieder. Wenig später schickten sie literweise die ersten Gegenduftkompositionen. 50 bis 60 Duftnoten kamen insgesamt zusammen, und im Klärwerk hatte man alle Hände und Nasen voll zu tun, sich durchzuarbeiten. Das war zeitraubend und überdies nicht nur simple Parfümsprüherei, etwa hinters Ohr oder unter die Nase. Man muß wissen: der in Kläranlagen entweichende Geruch besteht nicht immer aus denselben Komponenten. Die wechseln nach eitlem Tages- und Wochenrhythmus. Zudem scheint auch das Wetter mitzuspielen. Die Hoffnung, aus der Retorte einen Komplementärgeruch geliefert zu bekommen, der jenen der Kläranlage aufhebt, erfüllte sich nicht. So mußten also mit den sich lindernden Gerüchen immer wieder die einzelnen Duftnoten durchprobiert werden, bis man sich auf acht Favoriten festlegte. Jeder davon mit einem bestimmten Geruch zusammengebracht, hat nun die gewünschte Wirkung. Erwischt man das falsche Parfüm, stinkts halt in einer anderen Nuance weiter.

Im Abstand von 30 Sekunden

Blieb die Frage: wie nun Gestank mit Wohlgeruch bekämpfen? Hartmann versuchte es auf alle möglichen Weisen, mit mehr oder minder geringem Erfolg. Jetzt aber funktioniert Deutschlands erste KIäranlage mit Parfümeinspritzung: in einer behelfsmäßigen Bretterbude sprüht ein Zerstäuber alle 30 Sekunden den jeweiligen Duftstoff in eine Kammer, der in die Luft geblasen, wieder abgesaugt und anschließend dorthin gebracht wird, wo des Übels Kern steckt: zu den sogenannten Tropfkörpern. Diese Tropfkörper sind nichts anderes als vier Meter hoch geschichtetes Lavagestein in kreisrundem, abgedachtem Gemäuer. Bakterien bilden auf dem Gestein einen „biologischen Rasen“, der für die Aufbereitung des Abwassers sorgt. Dabei entstehen Gerüche schlimmsten Kalibers, in die jetzt die chemisch erzeugten Düfte geblasen werden. Beides vermischt sich, dringt ins Freie (120.000 Kubikmeter Luft je Stunde) und belästigt die Anwohner nicht mehr. Theoretisch ist das Problem also gelöst – wäre nicht die sich wandelnde Zusammensetzung des Abwasser-Geruches. War tagelang alles sozusagen im schönsten Duft, müssen sich die Anwohner plötzlich wieder die Nase zuhalten. Was die Veränderung der Geruchskomponenten hervorruft, weiß man noch nicht. Wäre es bekannt, könnten die Ursachen so aufgespürt werden wie der Schwefelwasserstoffgehalt im Abwasser; er wird ständig gemessen, die Chlordosierung erfolgt automatisch und der typische Geruch (faule Eier) kann erst gar nicht aufsteigen. Es dauert dann etliche Zeit, bis der richtige Duftstoff ermittelt ist und seine Verwendung wirksam wird. Darum will sich Dr. Hans Hartmann, obwohl soweit schon bahnbrechend, mit dem Erreichten nicht zufrieden geben. Er will weiter nach erfolgversprechenden Wegen suchen, wobei die Lösung am Geld nicht scheitern soll. Oberbürgermeister und viele Stadträte haben das zugesichert. Denkbar ist deshalb, wenn alle anderen Stricke reißen, sogar ein großer Kamin, durch den die üble Kläranlagenluft in den Himmel gepustet wird. Doch ob das den gewünschten Effekt zeitigt? Vielleicht bekommen dann statt der Nürnberger und Fürther die Bewohner von Langenzenn, Tennenlohe, Lauf und Schwabach Duftproben vorn Nürnberger Abwasser. Billiger wäre dann schon die Parfümeinspritzung: 30.000 DM wurden heuer dafür ausgegeben.

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