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11. Januar 1972: Lange Haare machten viele „Figaros“ bereits arbeitslos

11.1.2022, 07:00 Uhr
11. Januar 1972: Lange Haare machten viele „Figaros“ bereits arbeitslos

© Friedl Ulrich

Wer das nicht konnte, gab auf: allein 1970/71 mußten rund 30 Geschäfte in Nürnberg schließen. Sie hatten ihre Eigentümer zum großen Teil sogar in die roten Zahlen gebracht. Unter extremen Schwierigkeiten leiden die Friseure schon seit vier Jahren. Einer der Gründe: die Jugendlichen mit den langen Haaren – so Obmann Werner Kilian – fallen als Kunden praktisch völlig aus. Doch Kilian sieht einen Hoffnungsschimmer: „Die Jugend scheint doch wieder etwas modebewußter geworden zu sein.“ Eine weitere Ursache für die Talfahrt des Friseurhandwerks sieht Kilian darin, daß das Lohn- und Preisgefüge nicht stimme. Seine Rechnung: „Pro Arbeitsstunde werden rund sieben Mark eingenommen – ein lächerlicher Betrag angesichts dessen, was andere Dienstleistungsbetriebe verlangen.“ Allerdings sieht Kilian keine Möglichkeit, den Preis je Haarschnitt auf jene Höhe anzuheben, die er für vernünftig hält: „Dann kommen die Kunden einfach seltener.“

Der Obmann spricht aus Erfahrung: der Besuch beim Friseur ist das erste, auf das verzichtet wird, wenn das Geld nicht ausreicht. Als Beispiel führt er die Trabantenstadt Langwasser an: die relativ hohen Mieten dort zwingen die meisten Ehepaare zur Sparsamkeit. Da in Nürnbergs Innenstadt nur wenige Friseurgeschäfte zu finden sind, müßte man – laut Kilian – annehmen, daß sie dafür in den ausgesprochenen Wohngebieten florieren würden. Das trifft aber nicht zu. So ist auch nicht verwunderlich, daß die Ausstattung der Geschäfte seit etlicher Zeit unverändert geblieben ist: es fehlt ganz einfach am Geld, um Investitionen wagen zu können.

So setzt es Kilian auch keineswegs in Erstaunen, daß ein großer Teil der geschlossenen Läden nicht verkauft werden konnte. Im Jahre 1970 kam ein Trend hinzu, der vor allem die Damenfriseure traf: Perücken wurden Mode. Daß dies nicht lange anhielt, lag nach Kilians Ansicht vor allem auch an einem Umstand, für den niemand etwas konnte und der auch nicht voraussehbar war: an dem heißen Sommer und dem warmen Herbst im letzten Jahr. Die Witterung machte das Tragen einer Perücke zur Qual. Freilich: einen spürbaren Aufschwung wenigstens bei den Damenfriseuren bewirkte sie nicht. Hinzu kommen weitere Schwierigkeiten.

Ein Großteil des Personals rekrutiert sich aus Frauen, die nach Kilians Erfahrung krankheitsanfälliger sind als Männer; und: bei einer Schwangerschaft haben sie Anspruch auf Lohnfortzahlung – was sich bei einem lohnintensiven Gewerbe besonders bemerkbar mache. Viele Frauen würden zudem nach der Heirat ihren Beruf aufgeben, ihn inoffiziell aber weiterhin ausüben, indem sie „schwarz“ arbeiteten. Hinzu kämen weiter die vielen Heimgeräte – beispielsweise Trockenhauben –, die nach Meinung eines Großteils der Frauen den Besuch beim Friseur überflüssig machten. Dennoch sieht der Obmann nicht schwarz, auch wenn die Nachwuchsfrage zu einem Problem geworden ist. Sein Hauptargument: die launische Mode wird sich schon wieder ändern, die Kunst des Figaros wird wieder geschätzt werden.

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