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13. Januar 1972: Die Stadt empfing Prominenz und Bürger

13.1.2022, 07:00 Uhr
13. Januar 1972: Die Stadt empfing Prominenz und Bürger

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Er sprach von der Gelegenheit zum Kennenlernen, zum Meinungsaustausch und von der Möglichkeit, auch über die Sorgen zu reden. Aber das blieb auch die einzige Stelle, an der er dezent an die Finanznot Nürnbergs erinnerte. Auf das übliche Klagelied, das Kommunalpolitiker landauf, landab wegen der Ebbe in den Stadtsäckeln anstimmen, verzichtete Dr. Urschlechter. Es tat wohl, davon ausnahmsweise einmal nichts zu hören. Vielmehr sprach er voll Zuversicht von 1972 als dem Jahr der Ernte. Denn in wenigen Wochen geht die U-Bahn in Langwasser in Betrieb. Im Herbst folgen die Einweihung des Staatshafens und des Europakanals. Wenn Petrus keinen Strich durch die Rechnung macht, könnte sogar der dritte Streich gelingen und der erste Abschnitt des neuen Messezentrums am Jahresende vollendet sein. Vielleicht lassen sich bei den bevorstehenden großen Ereignissen die Gastgeber den Neujahrsempfang zum Vorbild dienen. Erstmals mischten sich einfache Bürger wie die Hausfrauen Waltraud Süß, Gudrun Blechschmidt, Ursula Beyer und die Studentin Angelika Kollert unter die Prominenz. 100 Frauen und Männer waren, einer Anregung der Gewerkschaft ÖTV folgend, vom Computer ausgesucht und eingeladen worden.

Gerade 18 Lenze zählte der Benjamin, 70 Jahre die Seniorin. „Von Gefallen kann man bisher noch nichts sagen“, meinte zwar am Anfang die Hausfrau Gudrun Blechschmidt. Aber später registrierten die Beobachter erfreut, daß die Vertreter der Bürgerschaft keineswegs nur still in einer Ecke standen, sondern in die Unterhaltung einbezogen wurden. Gekommen waren aber auch Bürgermeister der Orte, die mit der Gebietsreform nach Nürnberg eingemeindet werden: zum Beispiel Karl Grasser (72) aus Worzeldorf und Christoph Dotzauer (66) aus Kornburg, beide mittlerweile seit 24 Jahren in diesen Ämtern. „Unseren Posten verlieren wir gern. Aber wir verlieren auch unsere Selbständigkeit“, bedauerte der Kornburger Bürgermeister, ehe er etwas versöhnlicher hinzufügte: „Wenn man nichts ändern kann, muß man sich darauf einstellen“. Hoffentlich stellt sich auch die Bevölkerung in den betroffenen Gemeinden darauf ein, denn im nächsten Jahr wird mancher Neubürger ebenfalls beim Neujahrsempfang vertreten sein. Nicht als Kornburger, Worzeldorfer oder Boxdorfer, sondern als Nürnberger. Bier und Wein, schlichte Brezen und Salzstangen beweisen ihm dann, daß auch die Großstadt sparsam mit seinem Geld wirtschaftet.

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