Die Grenzgänger vom Obersalzberg

17.8.2019, 08:00 Uhr
Die Grenzgänger vom Obersalzberg

© Stefan Mößler-Rademacher

Ein wunderschönes Stück Natur, auf dem aber wohl für immer der Schatten der Vergangenheit liegen wird. Denn mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten wurde dieses Areal in den 1930er-Jahren systematisch in ein Rückzugsgebiet für die politische Elite Nazi-Deutschlands und zum zweiten Regierungssitz neben Berlin verwandelt.

Nach dem Kriegsende nutzte die US-Army den Obersalzberg als "Recreation Center". Bis 1995 fanden mehr als fünf Millionen US-Soldaten mit ihren Familien hier Erholung. Als die Amerikaner den Standort aufgaben, musste der passende Umgang mit dem Gelände gefunden werden – ähnlich wie in Nürnberg mit dem Reichsparteitagsgelände. Vor allem eines sollte hier nicht entstehen: eine Pilgerstätte für Rechtsradikale. Der Freistaat Bayern entschied sich deshalb für ein "Zwei-Säulen-Modell". Dieses sah den Bau eines "Hotels der gehobenen Klasse" – das Fünfsternehaus wird derzeit von der Kempinski-Gruppe geführt – und zum anderen die Errichtung einer Dokumentationsstätte vor.

Gesprächsfetzen in allen Sprachen

Beide Maßnahmen scheinen zu greifen: Das Doku-Zentrum wird gerade erweitert. Denn die gut gemachte, aber sehr überschaubare Ausstellung samt Zugang in einen Teil des Bunkersystems wird längst nicht mehr dem Andrang gerecht. Die Besucher kommen aus aller Welt. Gesprächsfetzen auf Holländisch, Englisch, Russisch und Polnisch sind zu vernehmen. Als Pilgerstätte für Rechtsradikale eignet sich der Ort wahrlich nicht. Und alle, die am Parkplatz am dort abgestellten Wehrmachts-VW-Oldtimer mit Kennzeichen aus dem Bundesland Brandenburg vorbeikommen, schütteln den Kopf, zücken ihr Handy und machen ungläubig Fotos.

International auch das Publikum im Kempinski-Hotel. Japanische Reisegruppen wuseln gerade Richtung Bus, eine Familie mit kleinen Kindern aus München checkt ein, und in den gemütlichen Sesseln am offenen Feuer neben der Bar sitzen Gäste aus der arabischen Welt. Die elegante Dame trägt ein schickes Kopftuch. Gesucht werden Erholung mit Blick auf den Watzmann und der kurze Weg in die Bergwelt.

Selbstverständlich gibt es an der Rezeption aber auch eine Karte mit dem Weg ins nahe Doku-Zentrum, ein Neonazi-Problem hatte man hier in all den Jahren nicht. Bei Nachfrage wird ohne Zögern über das Thema Auskunft erteilt. "Klar ist unser Personal informiert und wäre auch vorbereitet, bei unangemessenem Verhalten zu handeln", erklärt Hotel-Manager Werner Müller. Für den 20. April, dem Geburtstag Adolf Hitlers, wird extra sensibilisiert. "Bislang hat es aber nie einen Zwischenfall bei uns gegeben."

Lassen wir erst einmal die NS-Zeit hinter uns, denn der Obersalzberg ist auch eine Wiege des modernen Tourismus. In den 70er Jahren des 19. Jahrhunderts eröffneten hier die ersten Gasthäuser für die "Sommerfrischler". Durchs "Zwei-Säulen"-Konzept hat der Berchtesgadener Tourismus das Gebiet längst wieder erblühen lassen. Durch die Obersalzbergbahn ist der komplette Obersalzberg auch ohne Auto für Ausflügler und Wanderer zu erreichen. Die roten Gondeln aus den 1950er Jahren sehen aus, als ob sie zu einer Modell-Eisenbahn gehören. Nahezu lautlos bringen sie die Feriengäste von 530 Metern Höhe zur Bergstation auf 1020 Metern. Wer jetzt schon eine Stärkung benötigt, kehrt beim Windbeutelbaron ein. 200 süße und 40 herzhafte wandern hier über den Tresen des Café Graflhöhe von Hansi Ebner.

So viel Kalorien! Nehmen wir uns zur Abwechslung mal einen Abstecher zum Purtschellerhaus vor. Eine DAV-Hütte, auf deren Terrasse man, nachdem die über 520 Holzstufen im letzten Teil des Anstiegs überwunden wurden, eine wunderbare Aussicht genießen kann. Hier ist unübersehbar, dass man sich auf dem Grenzverlauf zwischen Österreich und Deutschland befindet: Im Flur vor den Toiletten ist auf dem Boden ein weiß-blau-rot-weißes Markierungsband angebracht. Wirt Sigi Hinterbrandner erzählt gerne Anekdoten über die Vor- und Nachteile dieser Lage. "Die ausklappbaren Brandschutzleitern dort drüben sind in Deutschland hergestellt worden, zugelassen sind sie aber nur auf der österreichischen Seite des Hauses."

Die Grenzgänger vom Obersalzberg

© Stefan Mößler-Rademacher

Die engen Grenzbeziehungen begegnen hier den Urlaubern auf Schritt und Tritt. Besonders dann, wenn es um den Salzabbau geht. Bereits im Mittelalter gruben die Salzburger durch die Berge der Berchtesgadener Fürstprobstei. Mit der Salinenkonvention erfolgte 1829 eine bis heute gültige Vereinbarung zwischen Bayern und Österreich, die im Wesentlichen Bayern das Eigentumsrecht an den Pinzgauer Saalforsten und Österreich das Salzabbaurecht auf der bayerischen Seite des Dürrnbergs einräumt.

Bereits während der Fahrt mit dem Almerlebnisbus in der Ramsau – der Busfahrer hat einen Schlüssel für den Schlagbaum, der stets gewissenhaft geöffnet und geschlossen wird – vom Nationalpark Berchtesgaden in den Naturpark Weißbach werden die engen grenzübergreifenden Beziehungen lebendig. Bei der anschließenden Wanderung zur Kammerlingalm trifft man auf bayerische Bauern, die das Recht besitzen, im Sommer ihre Kühe auf österreichischer Seite weiden zu lassen. Schwierigkeiten gibt es lediglich ab und zu mit der Bürokratie der Gegenwart. "Es dauert schon, bis die Behörden wissen, wie sie bayerische Kälber, die in Österreich geboren sind, registrieren sollen", erzählt der Almbauer und lacht. Danach geht’s zum Almausschank "Feichtnkaser". Hier weht die österreichische Fahne, das Stiegl-Bier aus Salzburg gibt es in der Flasche, und die junge Sennerin Vroni serviert eine Brotzeit. Vor der Hütte springen zwei kleine, freche Kätzchen auf und ab. Übrigens: Die Vroni kommt aus Erding.

Ganz zum Ende der Reise beim Besuch des Kehlsteinhauses gibt es scheinbar doch noch eine Begegnung, die man an diesem Ort vermeiden möchte. Eine Gruppe junger Männer mit kurz geschorenen Haaren und Zigarren in den Händen läuft über die Terrasse des einzigen "authentischen" Gebäudes aus dem Dritten Reich. Als sie näher kommen, ist ihr US-Südstaaten-Akzent nicht zu überhören. Entwarnung! Auf Jacken und Mützen tragen sie die Abzeichen ihrer Einheit der US-Streitkräfte. Warum die Zigarren? "Wir feiern den Sieg über Hitler", sagen die Jungs und lachen.

Mehr Informationen:

Berchtesgadener Land Tourismus

www.berchtesgadener-land.com, die diese Reise unterstützt haben.

Anreise:

Mit der Bahn von Nürnberg via München in ca. 4 Stunden. Mit dem Auto sind es rund 320 Kilometer und ca. 3.45 Stunden Fahrtzeit.

Günstig wohnen:

DAV-Hütte Purtschellerhaus

www.purtschellerhaus.de

Luxuriös wohnen:

Kempinski Berchtesgaden

www.kempinski.com

Beste Reisezeit:

Für Wandern, Spaziergänge und Mountain-Bike-Touren März bis Oktober. Ansonsten: Wintersport.

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