Slawonien schläft nicht

Kerstin Wolters

Online-Redaktion

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3.8.2019, 08:00 Uhr
Slawonien schläft nicht

© Marko Banić

Eine Reise nach Slawonien beginnt im Vorfeld meist mit einem Missverständnis. Kaum ist das Ziel genannt, trumpft der eine oder andere neunmalklug mit "Du meinst Slowenien!" auf. Der östlichste Zipfel Kroatiens ist noch immer ein weißer Fleck auf der touristischen Landkarte. Am Bekanntheitsgrad der Region zwischen Ungarn im Norden, Serbien im Westen und Bosnien-Herzegowina im Süden arbeitet die kroatische Tourismuszentrale – und mit ihr die Slawonier.

Osijek, die viertgrößte Stadt Kroatiens, klebt wie ein Kaugummi an der Drau, die 25 Kilometer weiter östlich in die Donau mündet. Sehenswürdigkeiten hat sie wenige zu bieten, auch wenn die zahllosen hochbetagten Flusskreuzfahrt-Touristen, die in Richtung Festung schlurfen, das glauben machen. Bei Tag versprüht Osijek spröden Charme. Viele Läden stehen leer, längst sind die Textil-Discounter und Drogeriemarktketten ins riesige Einkaufszentrum Portanova umgezogen. Einst war sie eine der wichtigsten Industriestädte Jugoslawiens, aber nach dem Kollaps des Sozialismus haben die meisten Fabriken dicht gemacht. Über 100.000 Einwohner zählte man noch 2011, 70.000 dürften es heute sein.

Aber Osijek, das kulturelle Zentrum Slawoniens, schläft nicht. Das Festival "Abend des Weins und der Kunst" ("Večer vina i umjetnosti"), das dreimal im Jahr stattfindet, ist der Beweis. Künstler öffnen ihre Ateliers in den Kasematten der Festung und projizieren beeindruckende Lichttapeten auf das alte Gemäuer. DJs legen auf und mehr als 35 Winzer laden an ihren Ständen zum Probieren ein. "Wir wollen den Wein der Region mit dieser Veranstaltung bekannter machen", sagt Ivana Jurić vom Tourismusverband.

Die ganze Vielfalt der Mücken

Die 41-Jährige freut sich über die rund 2000 Besucher, die bis spät in die Nacht trinken, feiern und tanzen. Über 1000 Euro freut sich Atila Adam. Der 35-jährige Künstler hat ein Bild verkauft, das ironischerweise eine 150-fach vergrößerte Mücke zeigt. Schlägt man sich unkontrolliert auf Stirn, Wangen und Arme, heißt es in Kroatien: Der ist entweder verrückt oder er kommt aus Osijek. Denn Mücken gibt es hier wie Sand am Meer.

Auf stolze 21 Mückenarten kommt man im Naturpark Kopački rit, 20 Kilometer nordöstlich von Osijek. Gründe, ihn zu besuchen, gibt es noch mehr. Silber-Weiden hängen in vorderster Front im Wasser, dahinter erstrecken sich Auwälder mit Pappeln und Eichen. Schilf und Riedgras, mit denen man früher die Häuser deckte, stehen mannshoch. Hier, wo Drau und Donau ein Delta bilden, erstreckt sich auf 23.000 Hektar Fläche (7000 unter strengstem Naturschutz) eines der größten und wichtigsten Sumpfgebiete Europas. Natürliche Kanäle verbinden unzählige Seen, Weiher und Tümpel.

Slawonien schläft nicht

© Kerstin Wolters

"Durch die Schneeschmelze in den Alpen wird dieses Tal regelmäßig überflutet, meist von Februar bis Juni. Erst im Sommer geht das Wasser zurück", erklärt Tourguide Mate Balog, der Touristen mit einem kleinen Stahlboot durch den amazonasartigen Park schippert. Mehr als 300 Vogelarten kommen hier vor, darunter 70 Seeadler. Neben den Schwarzstörchen, Grau-, Silber- und Seidenreihern hat es vor allem der Eisvogel dem 36-Jährigen angetan. Weniger beliebt sind die über 1000 Kormorane, die mit Geschrei und Geflatter auf sich aufmerksam machen. Die hohen Bäume, auf denen sie nisten, sterben nach und nach ab. "Der Kot der Kormorane ist ätzend", weiß Balog. Und er stinkt.

Biber, Otter, Dachse, Wildschweine, Rehe und Rothirsche leben im trockeneren, nördlicheren Teil des Naturparks. Auf Letztere machten erst die Habsburger Jagd, dann der kommunistische Machthaber Tito. Während des Bürgerkriegs besetzten serbische Truppen den Park, erst seit 1998 ist er wieder öffentlich zugänglich. Heute kommen 40.000 Touristen im Jahr, die meisten aus dem eigenen Land, aus Ungarn und Slowenien.

Slawonien schläft nicht

© Kerstin Wolters

Gut für Erdut ist, dass die Donau dort einen großen Bogen macht. Auf drei Seiten umgibt der Strom die Weinhänge und schafft damit ein Mikroklima, das für genug Regen, Wärme und viele Sonnenstunden sorgt.

Winzer Ivo Brzica baut auf sechs Hektar Graševina, Chardonnay, Cabernet Sauvignon, Merlot und Vranac an. Der 60-Jährige lädt zu Weinproben und Kellerführungen auf seinem Anwesen, das direkt 94 Meter über der Donau liegt, ein. "Ich hoffe, dass sich der Weintourismus in der Region etabliert und damit auch die Arbeitslosigkeit bekämpft werden kann," sagt Brzica.

Von seiner Terrasse aus blickt man hinab auf den riesigen Strom, dichte Wälder und hinüber nach Serbien. Schöner kann ein Tag nicht ausklingen als mit einem Glas Wein in der Hand auf der Holzbank. Aber: Man muss Mücken mögen.

Mehr Informationen

Kroatische Zentrale für Tourismus

https://croatia.hr/de-DE,

die die Reise unterstützt hat.

Anreise:

Mit dem Auto ab Nürnberg über Graz gut 900 Kilometer in rund zehn Stunden. Zug: nur sehr lange und umständliche Verbindungen. Alternativ: Flug nach Zagreb und weiter mit dem Bus.

Günstig wohnen:

Hostel Street Osijek

www.hostel-street-osijek.com/de-de

Luxuriös wohnen:

Hotel Waldinger

https://waldinger.hr

Tel.: 003 85 / 31 / 25 04 50

Beste Reisezeit:

Mai/Juni, im Sommer heiß, dann September/Oktober.

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