Mit Tempo gegen Triefnasen und Tränenbäche

7.2.2009, 00:00 Uhr
Mit Tempo gegen Triefnasen und Tränenbäche

© dpa

Heute gibt es sie mit Menthol, antibakteriell, mit Garfield-Bildchen oder Loriot-Nase, kunterbunt und tierisch wild gemustert. Doch nach wie vor heißt ein Taschentuch im Volksmund «Tempo» - und das mit gutem Grund. Denn am 29. Januar 1929 meldeten die Vereinigten Papierwerke Nürnberg mit Tempo die erste deutsche Papiertaschentuchmarke beim Reichspatentamt in Berlin an.

Getreu seinem Namen entwickelte sich das Tempo in Hochgeschwindigkeit zum Erfolgsprodukt. Vier Jahre nach der Markteinführung war es aus dem Alltagsleben nicht mehr wegzudenken. Bereits 1933 produzierten die Vereinigten Papierwerke rund 35 Millionen Päckchen Zellstoff-Taschentücher pro Jahr. Das Baumwolltuch, mit Spitze oder Monogramm, hatte ausgedient. Für einen Großteil der Bevölkerung aus den Arbeiterschichten war es ohnehin unerschwinglich gewesen. Der Werbeslogan «Mehr Hygiene und Komfort durch Wegwerfen statt Waschen» tat sein übriges: «18 Papiertüchlein gefaltet und in knisterndes Pergament verpackt», kamen besonders bei den Hausfrauen gut an.

Hergestellt wird das Tempo-Taschentuch damals wie heute aus Holzfasern. Eine Mischung aus langen Fasern von Nadelbäumen und kurzen Fasern von Laubbäumen wird gehäckselt und gekocht. Der so entstandene Papierbrei wird in großen Bahnen ausgerollt, getrocknet und geschnitten. Vier solcher Papier-Lagen übereinander ergeben ein Tempo, wie es sein soll - fest und trotzdem weich.

Kein Glück

Seinem Erfinder Oskar Rosenfelder brachte das Tempo kein Glück. Das erste Papiertaschentuch entwickelte Rosenfelder aus seinen früheren Erfahrungen mit Toilettenpapier und Damenbinden (Camelia). Die Vereinigten Papierwerke betrieb er gemeinsam mit seinem Bruder Emil. Die Tempos wurden in einer für damalige Verhältnisse hochmodernen Fabrik in Heroldsberg bei Nürnberg produziert. So blieb der Erfolg des Taschentuchs aus reinem Zellstoff natürlich auch den Nationalsozialisten nicht verborgen. Nach einer Hetzkampagne gegen die «Camelia-Juden» wurden die Rosenfelders enteignet und mussten Deutschland verlassen.

Danach übernahm Unternehmer Gustav Schickedanz (Quelle) die Vereinigten Papierwerke zu einem günstigen Preis. Bis Kriegsbeginn steigerte er die Tempo-Produktion auf rund 400 Millionen Taschentücher jährlich. Im Zweiten Weltkrieg allerdings kam die Herstellung fast vollständig zum Erliegen. Denn das Tempo-Taschentuch stand nicht auf der Liste kriegswichtiger Güter.

Nach Kriegsende stiegen Verkaufs- und Fertigungsvolumen weiter an. 1955 verkauften die Vereinigten Papierwerke erstmals in ihrer Geschichte mehr als eine Milliarde Taschentücher. Neu sind die Verpackungen mit Seitenperforierung und der sogenannte Brechpack, eine quadratische Doppel-Vorratspackung. Auch den typischen Tempo-Schriftzug, wie wir ihn heute noch kennen, gibt es seit Mitte der fünfziger Jahre. Mit dem Wirtschaftswunder setzte sich auch das Wegwerfprodukt endgültig durch. Bis zum Ende der achtziger Jahre wurden an insgesamt 18 Produktionsstätten täglich bis zu 80 Millionen Papiertaschentücher gefertigt und gefaltet.

Tempo behielt auch im Wandel der Zeit die Nase vorn und sicherte sich damit seine Wettbewerbsfähigkeit. Mit dem 1963 zum Patent angemeldeten «Tempo-Griff» konnte das Taschentuch fortan mit nur einer Hand entfaltet werden. Die Z-Faltung optimierte dieses System im Jahr 1973. Auch die blauweiße Verpackung aus Plastikfolie, die 1978 die alte Pergamentverpackung ersetzte, war richtungsweisend für das künftige Aussehen einer Taschentuchhülle.

Aufstieg zur Weltmarke

1994 wurde das Tempo-Taschentuch zur Weltmarke. Der US-Konzern Procter & Gamble übernahm die Vereinten Papierwerke Schickedanz AG (Neuss). Der US-Konsumgüterriese macht Tempo «durchschnupfsicher» und «noch weicher», ehe er die Marke im Jahr 2007 schließlich an den Marktführer Svenska Cellulosa (SCA) weiterverkauft, der produziert bis dahin noch die ebenfalls bekannten «Zewa-Softies». Heute werden Tempotaschentücher in 40 Länder exportiert. Auch dort wird der Name häufig gleichbedeutend als Gattungsbegriff für ein Papiertaschentuch verwendet. Große Ausnahme ist der amerikanische Markt - dort hilft bei Schnupfennasen vorwiegend das Kleenex-Tuch. Inzwischen werden weltweit jährlich rund 20 Milliarden Tempo-Packungen verkauft.

Die Wiege der Tempo-Taschentücher steht indessen nicht mehr. Die Fabrik in Heroldsberg wurde im letzten Jahr abgerissen. Dort entsteht nun eine Wohnsiedlung mit einer Oskar-Rosenfelder- und einer Gustav-Schickedanz-Straße.