1993: Eine glanzlose Premiere im Open-Air-Schmuckstück

1.6.2013, 14:05 Uhr
1993: Eine glanzlose Premiere im Open-Air-Schmuckstück

© Günter Distler

  Er wurde hermetisch von Bodyguards abgeschottet. Sogar die Pressefotografen  konnten den Superstar nur aus großer Entfernung ablichten.

Sein Auftritt sollte der gefeierte Auftakt einer vollmundig angekündigten, neuen Konzertära in Nürnberg sein. Doch bei der Open-Air-Premiere im frisch ausgebauten Frankenstadion, bei der auch Melissa Etheridge und Brian May von der Rockgruppe „Queen“ auftraten, wollte die Stimmung nicht recht auf Touren kommen. Das lag nicht an den hochkarätigen Künstlern, sondern an einer Reihe ärgerlicher Rahmenbedingungen und Organisationsmängeln.  Tausende Besucher gingen am Ende wütend nach Hause.

„Wie in einer Schafherde“

So stand Melissa Etheridge längst auf der Bühne, als Hunderte Fans noch auf Einlass warteten. Die Zahl der Ordner reichte nicht, um den Zustrom der Fans zügiger zu kanalisieren. „Wir brauchten eineinhalb Stunden, bis wir im Innenraum waren“, zitierten die Nürnberger Nachrichten Besucher, die sich „wie in eine Schafherde eingekeilt fühlten.“

Als zweites Hindernis entpuppte sich die mangelhafte Beschilderung. Viele Musikfreunde fanden den Weg zum richtigen Block nicht. Als es darum ging, überfüllte Gänge zu räumen und die Rettungswege vor der Bühne freizuhalten, zeigten sich „die Ordnungshüter etwas überfordert“, wie es ein Verantwortlicher der Stadt vorsichtig formulierte.

Weil außerdem viel zu wenige Damentoiletten zur Verfügung standen, bildeten sich vor den Örtchen lange Schlangen. Um keinen der Welthits zu verpassen, musste deshalb manch weiblicher Fan unverrichteter  Dinge wieder auf seinen Platz zurückkehren und die Fortsetzung mit Druck auf der Blase verfolgen. Nach der Veranstaltung kam es dann abermals zu Gedränge und langen Wartezeiten – diesmal am S-Bahnhof. Die Züge konnten den Exodus der Fans kaum bewältigen.

Vermutlich wäre die Beurteilung der Konzertpremiere im renovierten Frankenstadion positiver ausgefallen, wenn eine große Open-Air-Produktion vor ausverkauften Rängen über die Bühne gegangen wäre. Als ein Jahr zuvor Michael Jackson im Gespräch für ein solches Event der Extraklasse war, verhinderte die Angst um den frisch angesäten Fußballrasen das Nürnberger Gastspiel des „King of Pop“. Diesmal durfte das Stadion nicht voll ausgelastet sein, weil keine Schwingungsdämpfer für die Oberränge eingebaut waren. Die hatte man bei der vielen Millionen Mark teueren Renovierung schlicht vergessen. So traten Elton John und Co. vor nur 30000 Leuten auf, weil man fürchtete, dass dynamisches Mitwippen Tausender im Takt der Musik womöglich die oberen Ränge zum Einstürzen bringen könnte.

Die Veranstalter vom Konzertbüro Argo zeigten sich zwar sehr angetan von der neuen Location und sprachen gar von einem „Schmuckstück“. „Was allerdings die Atmosphäre betrifft, ist man in Nürnberg mit dem Zeppelinfeld verwöhnt, wo Ende der 70er Jahre die ersten europaweit beachteten Rockkonzerte stattfanden. Im Frankenstadion ist vieles bequemer, aber Stimmung kommt am helllichten Nachmittag vor leeren Rängen beim besten Willen nicht auf“, fand das Feuilleton der Nürnberger Nachrichten.

Das Fazit: Die knapp 30000 Fans jeden Alters hätten in dem riesigen Stadionrund ziemlich verloren gewirkt. Von den Stehplätzen könne man die Rockgrößen nur noch in Zwergenformat sehen, Videoleinwände, wie sonst üblich, fehlten. Witzigerweise wurden vor Ort Konzertvideos  von Elton John verkauft. „Es ist schon seltsam: Man zahlt siebzig bis achtzig Mark für eine Karte und kann seinen Pophelden erst nach dem Konzert zu Hause im Video richtig sehen“, amüsieren sich die NN. Immerhin: Nach einem zähen Beginn hat Elton John in der zweiten Halbzeit das Publikum auf seiner Seite. Mit „Sacrifice“ und Freddie Mercurys Vermächtnis „The Show must go on“, bei dem Elton John Brian May von „Queen“ auf die Bühne holte, schafft er einen starken Abgang.

Signatur auf dem Pop-Table

Auch der sorgsam aufgepäppelte Fußballrasen hatte das Spektakel, mit Holzpaneelen abgedeckt, gut überstanden. Und Weltstar Elton John, der gleich nach seinem Auftritt Richtung Paris weiterflog, hatte sich mit dem einzigen Autogramm, das er sich auf seiner Deutschland-Tournee entlocken ließ, auf dem „Pop-Table“ des Nürnbergers Reiner Zeisig verewigt. Der sechs Quadratmeter große  Konferenztisch vereinte die Signaturen von weltbekannten Popgrößen und wurde später zugunsten der internationalen Aids-Hilfe beim Londoner Auktionshaus Sotheby’s versteigert.

Als 1997 „Kiss“ und „Supertramp“ sowie wenige Monate danach „Bon Jovi“ im Stadion auftraten, durften die Fans endlich auch die Ränge zum Schwingen bringen. Keiner der rund 45000 Besucher musste mehr fürchten, dass ihm der Boden unter den Füßen wegbricht. Zwei Gutachter der Ruhruniversität Bochum und der Bundeswehrhochschule in München hatten nämlich zuvor offiziell bestätigt, dass das Fußballstadion von der Statik her auch für Rockkonzerte geeignet ist.

2009 gastierte Elton John noch einmal in Nürnberg. Ganz voll bekam der Altmeister das Stadion wieder nicht – auch wenn die Ränge diesmal geöffnet waren. Das letzte große Event in der Fußballarena war das Pink-Konzert 2010. Auch „Rock im Park“ hatte mehrfach eine seiner Bühnen im Stadion aufgebaut. Seit es für die Fußballweltmeisterschaft 2006 umgebaut wurde, muss RIP auf benachbarte Areale ausweichen. Die Musiker, die am nächsten Wochenende wieder Tausende Besucher anziehen, nutzen Teile des Stadions nur noch als Back-Stage-Bereich, um ihre Garderobe zu verstauen oder zu tafeln.

 

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