Drei Prozesse im Fall «Weimar»

6.1.2008, 00:00 Uhr
Drei Prozesse im Fall «Weimar»

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Auch neun Jahre später klatschte das Publikum Beifall, diesmal jedoch wegen des Freispruchs für Monika Weimar. Im Gießener Gerichtssaal hatten sich ihre Unterstützer versammelt. Für sie war die Angeklagte ein Opfer der Justiz, das jahrelang unschuldig im Gefängnis gesessen hatte für ein Verbrechen, das ihr Ehemann begangen hatte. Das Ehepaar hatte sich über Jahre hinweg gegenseitig belastet.

Kaputte Ehe

Der «Fall Weimar» spaltete die deutsche Öffentlichkeit 15 Jahre lang und war einer der spektakulärsten Kriminalfälle der Nachkriegsgeschichte. Er hatte am 4. August 1986 mit dem Verschwinden der fünf- und siebenjährigen Schwestern Karola und Melanie Weimar begonnen.

Drei Tage später wurden die beiden Mädchen erwürgt in der Nähe der Wohnung der Familie im hessischen Philippsthal gefunden. Den Ermittlern wurde schnell klar, dass die Ehe der Eltern kurz vor dem Aus stand und nur einer der beiden als Täter in Frage kam. Er trank und schlug seine Frau, während sie sich in eine Affäre mit einem amerikanischen GI flüchtete.

Die Kripo unterstellte der damals 29-Jährigen, sie habe ihre eigenen Töchter aus Angst, ihr Geliebter könne die Beziehung wegen der Kinder beenden, getötet und nahm sie fest.

Verräterische Fasern

Beim Verhör belastete sie dagegen ihren Mann schwer und erklärte, er habe die Kinder aus Eifersucht umgebracht. Für kurze Zeit saß auch Reinhard Weimar in U-Haft. Doch die Indizien gegen seine Frau verdichteten sich: Zeugen sagten aus, sie in der Nähe des Tatorts gesehen zu haben. Im Verhör verwickelte sie sich in Widersprüche.

Vor allem wurde sie aber durch ein Gutachten belastet, nach dem Fasern ihrer Bluse an den Leichen gefunden worden waren, die während der Morde dort hingelangt sein mussten. Dieses Dokument überzeugte die Richter. In dem Urteil vom Januar 1988 hieß es, die Mutter habe ihre Kinder «heimtückisch und aus krasser Selbstsucht» ermordet.

Doch der «Fall Weimar» war mit diesem Schuldspruch noch lange nicht vorbei. Die Anwälte der Verurteilten gingen in Revision und ließen ein eigenes Gutachten erstellen.

Die Untersuchung entlastete Monika Böttcher, die sich während der Haft hatte scheiden lassen und wieder ihren Mädchennamen angenommen hatte: Die Fasern könnten auch in den Tagen vor dem Mord an die Kleidung der Kinder gelangt sein.

Am 5. Dezember 1995 traf das Oberlandesgericht in Frankfurt eine unerwartete Entscheidung: Monika Böttcher durfte auf freien Fuß, weil ihr Fall, wie vom Bundesgerichtshof nach der Revision angeordnet, wieder neu aufgerollt werden würde.

In Interviews bekräftigte sie die Mordvorwürfe gegen ihren Ex-Mann und sagte der Bild am Sonntag: «Ich wünsche ihm das Schlimmste.» Die Medien stürzten sich auf den Fall: Wurde hier vielleicht wirklich eine Unschuldige verurteilt?

Das Magazin Stern geriet selbst in die Schlagzeilen, als es Böttchers Verteidiger 50000 Mark für exklusive Interviewrechte mit seiner Mandantin zahlte. Später verklagte der Verlag den Anwalt, als Böttcher auch mit anderen Medien sprach. Sat.1 begann noch während des Prozesses, einen Spielfilm über den Fall zu drehen.

Wieder lebenslang

In dem neuen Verfahren am Landgericht Gießen wurde sie 1997 aus Mangel an Beweisen freigesprochen. Doch die Freude über das Urteil währte nicht lang. Der Bundesgerichtshof gab dem Antrag der Staatsanwaltschaft auf Revision statt.

1999 begann in Frankfurt der dritte Prozess, ein einmaliger Vorgang in der deutschen Rechtsgeschichte. Diesmal bekräftigten die Richter das Urteil von 1988: Lebenslang für Monika Böttcher. Nach 15 Jahren Haft wurde sie 2006 entlassen.

JANNIS BRÜHL