Als von der Kaiserburg die Preußenfahne wehte

30.8.2008, 00:00 Uhr
Als von der Kaiserburg die Preußenfahne wehte

Verknöcherte Traditionen? Von wegen! Heraldik ist keine Erfindung zur Verzierung von Lebkuchendosen oder London-Souvenirs. Als Hoheitszeichen senden Wappen und die von ihnen abgeleiteten Fahnen verbindliche Signale aus. Sie kennzeichnen, was zu wem gehört. Natürlich kann jeder über seinem Schrebergarten die Club-Fahne aufziehen, ohne dass seine Stiefmütterchen-Rabatte gleich zum FCN-Gelände wird. Im öffentlichen Raum aber hört der Spaß auf. Hier haben Fahnen und Flaggen eher den Charakter von Amtssiegeln, deren Wappenzeichen ja auch nicht beliebig verwendet werden können.

Am Ende wehte dann doch der Union Jack über Buckingham-Palace. Zuvor freilich hatte der damalige Premier Tony Blair seine ganze Überredungskunst aufbieten müssen, um die Queen dazu zu bewegen, ein ungeschriebenes Gesetz zu beugen.

In Bayern ist die Verwendung von Hoheitszeichen durch geschriebene Gesetze geregelt, die ihre Grundlagen in der Verfassung haben. So gesehen bleibt der Staatsregierung im Flaggenstreit um die Nürnberger Burg nicht viel Spielraum: Öffentliche Gebäude des Landes Bayern werden nun einmal weiß-blau beflaggt. Schließlich kommt der Staat auch für ihre Erhaltung auf. Bisher hat sich jedenfalls kein Frankenbund beschwert, dass der ungeliebte Freistaat jährlich etwa 35 Millionen Euro in die Erhaltung auch der fränkischen Burgen und Schlösser steckt.

Gerade wegen ihrer Bedeutung sollte man aber sparsam mit Fahnen und Flaggen umgehen. Wo sie allgegenwärtig sind, geht ihre Botschaft verloren. Wer permanent Fahnenwälder pflanzt, steht am Feiertag mit leeren Händen da. Früher fragten die Bürger: «Auf der Burg wehen die Fahnen, was ist denn los?» Und danach waren sie vielleicht ein wenig schlauer. Eine Dauerbeflaggung aber wird am Ende kaum noch wahrgenommen. Die Bedeutung der Landesfarben wird nicht gestärkt, sondern durch ihre Allgegenwart geschwächt.

Hier liegt der psychologische Fehler jenes Beschlusses, den das bayerische Kabinett im Juni fasste. Künftig sollten die Farben Bayerns, Deutschlands und womöglich auch Europas dauernd über den öffentlichen Gebäuden des Freistaats flattern, um - rechtzeitig vor der Landtagswahl? - das Staatsbewusstsein der Bürger zu stärken. Genau dadurch aber wurde die Fahne instrumentalisiert und degradiert: im besten Fall zu einem Lehrmittel der staatsbürgerlichen Bildung, im schlimmsten Fall zu einem Dekorations-Gegenstand frei nach dem Motto «Unser Dorf soll schöner werden!»

Die bayerische Staatsregierung selbst hat also jenen Zug ins Rollen gebracht, auf den jetzt andere aufspringen. Die Beflaggung geriet, abgekoppelt vom besonderen Anlass, unversehens in den Ruch der Beliebigkeit: Hauptsache schön bunt! Kein Wunder, wenn der frühere SPD-Landesvorsitzende Wolfgang Hoderlein nun auch den «Frankenrechen» über der Burg wehen sehen möchte. Und weil der «Frankenrechen» eigentlich keine Fahne ist, sondern ein Wappenbild, soll er als Schild auf einem rot-weißen Tuch prangen. Das aber ist - mit Verlaub - Bierzeltheraldik.

Vor allem aber: Eine offizielle Fahne oder Flagge kennzeichnet eine politische Einheit. Als politische Einheit aber hat Franken nie existiert. Vor 1806 gab es zwar einen fränkischen Reichskreis, doch der war kein eigenständiges Gebilde, sondern eine verwaltungstechnische und militärorganisatorische Zusammenfassung höchst verschiedenartiger Territorien, zu der die protestantischen Reichsstädte, Markgrafentümer und Ritterschaften ebenso gehörten wie die katholischen Bistümer. Von einer identitätsstiftenden Wirkung konnte keine Rede sein. Noch um das Jahr 1750 hätten es ein Sekretär des Würzburger Fürstbischofs und ein Ansbachischer Kollegienrat als schlechten Witz aufgefasst, hätte man ihnen gesagt, sie müssten sich einander als «Franken» doch verbunden fühlen.

Dass es mit dem Frankengefühl auch heute nicht so weit her ist, wie der Frankenbund sich dies wünscht, zeigt ein ganz anderer «Flaggenstreit»: Die Bezirkregierung von Oberfranken lehnte es vor einiger Zeit ab, anlässlich des Frankentages den Frankenrechen über öffentlichen Gebäuden flattern zu lassen. Staatsrechtlich gäbe es schließlich kein Franken, sondern nur die drei fränkischen Regierungsbezirke - auch wenn diese im Großen Bayerischen Staatswappen durch das Feld mit dem Frankenrechen repräsentiert sind. Vielleicht spielte bei den Vorbehalten der protestantischen «Markgräfler» in Bayreuth unterschwellig auch das Bewusstsein mit, dass der auf die Zeit um 1350 zurückreichende Frankenrechen seine Wurzeln im katholischen Hochstift Würzburg hat.

Ja zu Rot-weiß - aber bitte kein «Frankenrechen»!

Auch mit der Nürnberger Burg ist der Frankenrechen nur schwer in eine Verbindung zu bringen. Erbaut wurde die «Veste» von den Saliern, die als erste den (schwarzen) «römischen» Adler auf einen goldenen Grund setzten und damit die Frühform des Wappens der Bundesrepublik schufen. Spätere Besitzer waren die Staufer, deren drei schwarze Löwen auf goldenem Grund heute das Landeswappen Baden-Württembergs zieren. 1192 ging das Burggrafenamt an die Zollern, die später unter dem Namen «Hohenzollern» als Kurfürsten von Brandenburg, Könige von Preußen und Deutsche Kaiser Karriere machten. Tatsächlich führte noch Wilhelm II, der letzte Deutsche Kaiser, bis 1918 den Titel «Burggraf zu Nürnberg». Als solcher ließ er von der westlichen Schmalseite der Kaiserburg zu besonderen Anlässen tatsächlich die Hohenzollernfahne wehen, deren Schwarz-weiß auch für Preußen galt. Bleiben noch die Nazis, die sich mit historischen Feinheiten nicht lange aufhielten: Ihr gleichgeschalteter Führerstaat

kannte auch auf der Burg nur das Hakenkreuz.

Und wie nun weiter? Weißblau auf der Kaiserburg geht in Ordnung, das Gemäuer gehört nun einmal dem Freistaat. Auch die Farben der Bundesrepublik, die ja auch an die Salier und das Heilige Römische Reich deutscher Nation erinnern, sind auf der Kaiserburg gut aufgehoben - schließlich sind ihre Mauern mit der Geschichte des alten Reiches eng verbunden.

Aber dann gibt es ja schließlich noch den östlichen, «städtischen» Teil der Burg. Hier müssten die Stadtfarben Rot und Weiß ihren Platz finden, mit denen sich nicht nur die Nürnberger, sondern auch die Franken identifizieren können. Die Unsitte, noch ein Wappenschild auf das Flaggentuch zu pflanzen, sollte unterlassen werden: Das Nürnberger Wappen ist an dieser Stelle überflüssig, der fränkische Rechen fehl am Platz. Die weiß-blaue Bayernfahne kommt ja auch ohne Rautenschild in der Mitte aus.

So schön das alles aussehen wird: Bitte keine Dauerbeflaggung! Die Burg ist weder eine McDonald-Filiale noch eine Mercedes-Niederlassung, wo ständig ein «Logo» im Winde wehen muss.

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