Am «Burnout» ist nicht allein die Arbeit schuld

10.1.2009, 00:00 Uhr

Es wäre ein Leichtes, die böse Arbeitswelt anzuprangern. Doch: «Arbeit macht nicht prinzipiell krank», sagt Prof. Wolfgang Söllner, Chefarzt der Psychosomatik am Nürnberger Nordklinikum. «Arbeit gehört zum Leben, auch Aussteiger suchen sich irgendeine Arbeit. Sie ist eng mit Kreativität und Selbstverwirklichung verbunden.»

Krank mache Arbeit dann, wenn sie den Menschen chronisch und einseitig überfordert, wenn er sie nur ungern erledigt. Genau dies wird heute freilich befördert, weil der Zeit- und Qualifikationsdruck auf fast allen Arbeitsplätzen steigt, während die Selbstbestimmtheit der Mitarbeiter sinkt. «Wir spüren die Verschärfung des Drucks», sagt Söllner vorsichtig. «Das Problem ist eher drängender geworden.» Die sechs neuen Burnout-Klinikplätze sind seit ihrer Eröffnung im Frühjahr immer auf drei Monate hin ausgebucht. Doch mit alarmierenden Zahlen könne er nicht aufwarten. Erst seit 15 Jahren werde zu Burnout geforscht. «Wir wissen ja nicht, wie es vorher war.»

Fast nie liegt der körperliche und seelische Zusammenbruch an der Arbeit allein. «Meist sind mindestens zwei Lebensbereiche betroffen.» Ob jemand in die Erschöpfungsspirale gerät, hänge mindestens zur Hälfte von seiner Persönlichkeit ab – eine unbequeme Wahrheit für den Betroffenen. Es trifft die, die zu viel Selbstwertgefühl aus ihrem Tun ziehen, die sich stark und perfektionistisch engagieren, ohne Ausgleich zu suchen.

Zwei andere Typen bleiben wahrscheinlich gesund: die, die sich trotz hohen Einsatzes distanzieren, mit Hilfe von Freunden und Familie. Und jene, die sich bei der Arbeit schonen und in der Freizeit ihre Lebenserfüllung suchen. Sie wenden bereits unbewusst die Vorbeugungsstrategien an, die Söllners Patienten erst mühsam erlernen müssen: Pausen machen, Grenzen setzen, Hobbys pflegen, Zorn ausleben, Humor und Selbsterkenntnis üben.

Das Burnout-Syndrom ist keiner Berufsgruppe zuzuordnen. Häufig tritt es auf, wo Menschen viel kommunizieren und Verantwortung tragen. In helfenden Berufen jedoch sind seine Folgen besonders tragisch, erläutert Dr. Susanne Gutberlet, Oberärztin der Psychosomatischen Klinik. Denn wenn ein Arzt, eine Pflegekraft oder ein Therapeut ausbrennt und sein Mitgefühl verliert, leidet sein Patient. Aus einer guten Beziehung zum Patienten aber zieht der Mitarbeiter seine Anerkennung – der Sinn der Arbeit geht verloren (siehe Artikel rechts).

Menschen in helfenden Berufen sind für die Problematik anfällig, weil sie oft überhöhte Ideale pflegen, erklärt Gutberlet. «Sie meinen, kein eigenes Leben haben zu dürfen.» Menschen mit solch einem Helfersyndrom holen ihre Erfüllung aus der Dankbarkeit anderer. «Es ist eine Sucht, die sich oft mit dem Ideal der Bescheidenheit maskiert. Am Ende sammeln sich aber ihre ganzen unerfüllten eigenen Wünsche an, die sie immer zurückgestellt haben.»

Burnout ist heilbar, versichert Wolfgang Söllner. Die Lösung liegt darin, sich selbst und kleine Strukturen am Arbeitsplatz zu verändern. Zum Beispiel seine Kraft auf Gebiete zu verlegen, in denen man seine Wirksamkeit gut spüren kann. In der Klinik werden die Patienten in Gruppen-, Einzeltherapie und Rollenspielen dazu ermutigt. Einzelne wechseln ihre Arbeit. Zum Aussteiger werden sie eigentlich nie, auch wenn sie das am Anfang in ihrer Erschöpfung wütend dahingesagt hatten. «Wer kann es sich heute denn leisten, auszusteigen?», fragt Söllner. Isabel Lauer