Gesund im Job

Ausgeruht am Arbeitsplatz

18.7.2021, 17:44 Uhr
Ausgeruht am Arbeitsplatz

© Foto: Kerstin Bönisch

Psychische Probleme? Könnte man gleich am Arbeitsplatz angehen, frühzeitig und unkompliziert für die Betroffenen. Das verspricht ein Forschungsprojekt der Erlanger Universität, bei dem Psychologen vor Ort individuelle Beratung und Kurztherapien anbieten. Gesucht werden Unternehmen und Betriebsärzte, die sich beteiligen.

Psychische Belastungen und Erkrankungen zählen in Deutschland zu den häufigsten Gesundheitsproblemen, sie stehen mittlerweile auf Platz eins der Krankschreibungen. Doch Betroffene trauen sich oft nicht, ärztliche Hilfe in Anspruch zu nehmen, oder müssen monatelang auf einen Termin beim Psychotherapeuten warten. Das will die Studie "Frühe Intervention am Arbeitsplatz" ändern, an der sich die Psychosomatische und Psychotherapeutische Klinik des Universitätsklinikums Erlangen beteiligt.

Ausgeruht am Arbeitsplatz

© Foto: imago images/Westend61

Wer bedrückt ist, antriebslos oder auch reizbar, wer nachts nicht mehr schlafen kann oder unter diffusen Schmerzen leidet – der ist psychisch belastet. "Viele sehen das als Wehwehchen, auch wenn sie selbst darunter leiden", sagt Sinja Hondong, wissenschaftliche Mitarbeiterin des Projektes. "Wir merken aber, die Belastung zieht einen Rattenschwanz hinter sich her." Gerade im Arbeitsleben: Ist die Lebensfreude eingeschränkt, sinkt auch die Leistung. Über die Zeit entwickeln sich die "Wehwehchen" zu manifesten Erkrankungen, die Fehltage im Betrieb häufen sich und sogar das Familienleben wird in Mitleidenschaft gezogen. Nicht gut!

"Die hohe Arbeitsmoral hat Franken zu einer Wiege von Wissenschaft und Innovation gemacht", sagt Studienleiterin Yesim Erim. Einerseits. Die Professorin, die die Psychosomatik an der Uni-Klinik Erlangen leitet, kennt auch das Andererseits: Solch hohe und anhaltende Verausgabungsbereitschaft kann die psychische Gesundheit beeinträchtigen. "Unsere Studie will ausloten, ob frühe Angebote und Interventionen, die in den Betrieben beginnen, die Arbeitsfähigkeit deutlich erhöhen können."

Wahr ist: Es geht nicht nur ums Wohlbefinden und die Gesundheit der Beschäftigten, sondern für die Betriebe auch um ihre Leistungsfähigkeit. Mit durchschnittlich 34 Tagen pro Krankschreibung zieht die Diagnose "Psychische Erkrankung" die längste Ausfallzeit nach sich. Rund ein Siebtel aller Arbeitsunfähigkeitstage geht darauf zurück, die Ausfallkosten für die Unternehmen werden deutschlandweit auf 12,2 Milliarden Euro pro Jahr beziffert.

Wenn also die Betroffenen schnell Zugang zu Beratung und Psychotherapie bekommen könnten, argumentiert die Professorin, würden viele Probleme – etwa Angststörungen oder Schmerzen – gar nicht erst chronisch oder so komplex, dass sie langwierige Therapien erfordern. Das Verständnis der Forscher ist groß: Die Verdichtung der Arbeit, der Verlust über die Kontrolle von Abläufen, die Digitalisierung – das muss eigentlich bei einer Gesamtschau der individuellen psychischen Probleme einbezogen werden. "Wir müssen auch die Arbeitsbedingungen unter die Lupe nehmen!", sagt Yesim Erim.

"Arbeit ist ein großer Aspekt und für einige der Mittelpunkt ihres Lebens", fügt Sinja Hondong an. "Wir wollen mit unserer Studie dazu beitragen, psychische Belastungen im Job zu erkennen. Man kann mit früher Unterstützung viel erreichen."

Wie das abläuft? Ab September sollen rund 100 interessierte Beschäftigte mit psychischen Belastungen an der Studie teilnehmen. Im ersten Schritt bieten die Wissenschaftler eine psychosomatische Sprechstunde an, ganz in die Nähe der Arbeitsstätte oder – wenn gewünscht – auch direkt im Betrieb. Nach einem ausführlichen Gespräch stellen die Fachärzte und Psychotherapeuten eine Diagnose, erläutern Behandlungsoptionen und nennen mögliche Anlaufstellen. Oder sie bieten eine Kurztherapie an.

Aber wer will schon, dass sein Arbeitgeber von psychischen Problemen erfährt? Die Forscher sichern deshalb unbedingte Anonymität und Verschwiegenheit zu: Der Arbeitgeber weiß nicht, wer zu Beratung oder Therapie kommt und erhält keinerlei Information darüber. Der Betriebsarzt kann – das Einverständnis des Beschäftigten vorausgesetzt – hinzugezogen werden, unterliegt aber der Schweigepflicht.

Die Forschungsgruppe sucht für die Studie noch Betriebe und Betriebsärzte im Großraum Erlangen, Nürnberg und Fürth, die sich beteiligen wollen. Interessenten können sich bei Sinja Hondong unter (09131) 85-4 4652 und per E-Mail so-friaa@uk-erlangen.de melden.

Die Ergebnisse und Erfahrungen der Erlanger Forscher fließen in die große Studie, unter Gesamtleitung von Professor Harald Gündel und Eva Rothermund, Universitätsklinikum Ulm, des Forschungsverbundes ein, dem fünf weitere universitäre Einrichtungen in ganz Deutschland, ein Reha-Zentrum und die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin angehören. Ihr Wunschziel ist, dass die psychosomatische Sprechstunde am Arbeitsplatz zur Normalität wird.

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