Bräune aus der Spritze
21.5.2011, 07:32 UhrDoch tatsächlich haben die Nebenwirkungen es in sich. Mittlerweile häufen sich die Berichte von Anwendern, die über Erbrechen, sogenannte „Flushs“, also Rötungsanfälle im Gesicht und am Oberkörper, ein ständiges Bedürfnis zu gähnen oder sich zu strecken und überraschende Dauererektionen klagen. Denn der Stoff wirkt wie ein Hormon, allerdings zehn- bis 100-mal so stark.
Mediziner kennen die künstlich hergestellte Substanz unter dem Namen Melanotan II. In den USA und in Italien ist der ähnliche Wirkstoff Melanotan I begrenzt als Arzneimittel zugelassen, um ihn bei verschiedenen schweren Erkrankungen zu testen. In Deutschland sind beide Substanzen nicht als Arzneimittel zugelassen.
Die Droge „Barbie-Braun“ oder Melanotan II ist der künstliche Nachbau einer natürlichen körpereigenen Substanz namens MSH (Malanozyten-stimulierendes Hormon), die bei Sonnenschein im Körper gebildet wird. Die Hirnanhangdrüse produziert dieses Hormon, um die Bildung des braunen Pigments Melanin zu stimulieren, das die Haut vor Sonnenschäden bewahrt. Das Melanin nimmt die gefährlichen UV-Strahlen auf und wandelt die Strahlungsenergie in Wärme um. „Es wirkt wie ein Blitzableiter“, erklärt Dr. Jürgen Bauerschmitz, Oberarzt an der Hautklinik des Uniklinikums Erlangen. Auf diese Weise wird die Erbsubstanz in den Zellen der Haut geschützt. Reicht der Bräunungsschutz nicht aus, entsteht womöglich Hautkrebs.
Die künstlich hergestellte und illegale Lifestyle-Droge Melanotan II wird vor allem in dubiosen Labors in China und den Vereinigten Staaten hergestellt und übers Internet vertrieben. Anwender spritzen sich die Substanz selbst unter die Haut, wofür genügend Anleitungen im weltweiten Netz zu finden sind.
Hautarzt Dr. Bauerschmitz warnt dringend vor dem angeblichen Wundermittel. „Wir wissen, dass die Substanz die Bildung von Muttermalen und Sommersprossen fördert, und es gibt auch den Verdacht, dass das Hormon auf die Ausgangszellen des malignen Melanoms wirkt, also möglicherweise den schwarzen Hautkrebs fördert“, sagt der Mediziner. Muttermale können sich vergrößern und dunkelbraun färben. Dadurch sind Veränderungen, die auf Hautkrebs zurückgehen, sehr schwer erkennbar. Leider gibt es auch Anleitungen im Internet, die zeigen, wie man sich selbst dunkle Hautflecken herausschneidet. „Das ist sehr riskant. Nur Ärzte sollten Muttermale entfernen“, betont Bauerschmitz. Abgesehen von der nötigen chirurgischen Erfahrung und sterilem Vorgehen sei es außerdem wichtig, das Gewebe zu untersuchen, um Hautkrebs auszuschließen.
Nach Ansicht des Mediziners setzen sich Möchtegern-Barbies und -Kens bei der Injektion von Melanotan II einem tödlichen Risiko aus, auch durch falsche Anwendung, durch verschmutzte Nadeln oder durch Substanzen, die bereits bei der Herstellung möglicherweise verunreinigt wurden. Seit ein paar Jahren kursiert „Barbie-Braun“ vor allem in den USA und in England, weshalb die amerikanischen und britischen Arzneimittelbehörden längst davor warnen. Nun ist das Mittel auch in Deutschland angekommen und auf dem besten Weg, in gewissen Kreisen eine Modedroge zu werden. Dabei war der Wirkstoff ursprünglich gar nicht als Bräunungsmittel für Schickimickis gedacht.
Ein australischer Hersteller hatte Melanotan I vor einigen Jahren als Arzneimittel entwickelt. Das Medikament wird immer noch in einigen Ländern in kontrollierten Studien getestet, um Patienten zu helfen, die beispielsweise an einer schweren Erbkrankheit leiden. Sonneneinstrahlung wirkt dabei auf bestimmte Substanzen in den roten Blutkörperchen, was bei Betroffenen zu heftigen Schmerzen und Leberschäden führt.
Eine verstärkte Pigmentbildung in der Haut, so hoffen die Mediziner, könnte diese Beschwerden deutlich lindern. Auch hellhäutige Menschen, die intensiver UV-Strahlung beispielsweise in Australien ausgesetzt sind und deshalb unter Sonnenallergien und Hautausschlägen leiden, könnten eventuell von dem neuen Medikament profitieren.
Ein gebräunter Körper gilt auch in Deutschland immer noch als schick, obwohl die Gefahren durch Krebs und vorzeitige Hautalterung seit vielen Jahren bekannt sind. „Als Hautärzte sehen wir häufig junge Frauen, die durch chronische Sonnenschäden ein Dekolletee haben, als seien sie über 70“, sagt Mediziner Bauerschmitz. Wer den Trend partout mitmachen will, der sollte sich einer maßvollen natürlichen Sonneneinstrahlung aussetzen, die Mittagssonne meiden und auf alle Fälle jede noch so kleine Rötung verhindern, da sie das Krebsrisiko bereits deutlich erhöht. „Relativ unbedenklich sind – mal abgesehen von eventuellen Hautunverträglichkeiten – die Selbstbräuner“, sagt Bauerschmitz. Mittlerweile gebe es durchaus Substanzen zum Aufsprühen, die die Haut nicht fleckig, sondern einheitlich gebräunt wirken lassen.