Brezen - «Ein undankbares Gebäck»
16.2.2010, 00:00 UhrEs rattert nur leise in der Fürther Straße 52. Von draußen ist kaum zu hören, dass in dem unscheinbaren Wohnhaus Nürnbergs beliebteste Brezen produziert werden. Vielleicht ist es der Schnee, der die Geräusche dämpft. Nur ein kleines Schild verrät, dass sich hier die Brezendynastie Kolb befindet. Drinnen ist es angenehm warm, das Rattern etwas lauter. Noch duftet es nicht nach frischen, warmen Brezen. Die Produktion hat gerade erst angefangen. Es ist 1 Uhr.
Juniorchef Peter Wolfschmidt ist putzmunter. Für ihn beginnt ein ganz normaler Arbeitstag. Die roten Wangen glühen, mit Kennerblick schaut er in die Knetmaschine. «Hier werden Mehl, Malz, Salz, Hefe und Wasser verknetet», erklärt er. Automatisch wird der fertig geknetete Teig per Förderband zur sogenannten Kopfmaschine transportiert.
Um dorthin zu kommen, müssen wir uns an der Knetmaschine vorbeiquetschen. Besonders viel Platz ist hier nicht: Auf nur rund 200 Quadratmetern drängen sich alle Stationen der automatischen Brezenanlage. «Unsere war die erste Anlage in Deutschland», sagt Peter Wolfschmidt. Er hat sich an die Enge gewöhnt. «So lange alles funktioniert und die Qualität stimmt, ist das okay.»
Routiniert drückt er sich an den Maschinen vorbei und demonstriert die Kopfmaschine: Die formt aus dem Teig kleine, runde Teiglinge. Ein schräg an der Wand angebrachter Spiegel gibt Auskunft darüber, wie viel Teig sich in der Maschine befindet – von oben kann man nicht hineinschauen, sie ist zu hoch. Fast ein bisschen improvisiert wirkt das. Kaum zu glauben, dass hier so viele Brezen entstehen wie sonst in keiner Bäckerei Nürnbergs. 2500 pro Stunde, 20 000 Stück am Tag.
Für ein paar Minuten kommen die Teiglinge nun in den Vorgärschrank, in dem leicht warme, trockene Luft für ein Klima sorgt, das der Hefe angenehm ist. Anschließend macht eine Walze Fladen aus den Teiglingen, die wiederum werden per «Wickelmaschine» zu aufgerollten Laugenstangen.
Die Laugenstangen werden in der nächsten Maschine zu langen Strängen geformt, die in die Schlingmaschine wandern und dort die typische Brezenform erhalten. Eine Mitarbeiterin schaut sich jedes einzelne Exemplar an und arbeitet nach, wo die Maschine nicht genau genug war.
Nun geht es in den Gärschrank, eine Stunde lang. «Wenn man das auslässt, werden die Brezen klein und hart», erklärt Wolfschmidt. Anschließend werden sie kurz gekühlt. Die Haut ist nun schon leicht angetrocknet – dadurch wird sie nachher so schön kross. Aber bevor es in den Ofen geht, nehmen die Brezen noch ein kurzes Laugenbad – oder besser: eine Laugendusche. Auf einem Förderband werden sie darunter durchgefahren, danach direkt weiter in den Ofen. Nach wenigen Minuten verbreitet sich der unverkennbare Duft nach frischen Brezen in der Backstube. Zwei Mitarbeiterinnen packen die frischen Gebäckstücke in luftige Kisten – fertig sind die Brezen für den Abtransport. Eineinhalb Stunden dauert der Herstellungsprozess insgesamt.
Die Mitarbeiterinnen tragen alle Kopftuch – und das nicht allein aus hygienischen Gründen: «Wir beschäftigen ausschließlich Türkinnen», erklärt Peter Wolfschmidt. Bevor es die automatische Brezenanlage gab, war die Arbeit in der Brezenbackstube schwer – zu schwer für deutsche Arbeiter. «Dafür hat sich keiner begeistern können.» Den ersten türkischen Mitarbeiter hätten seine Großeltern noch direkt vom Flughafen abgeholt. Und weil sie mit der Arbeit so zufrieden waren, ist Familie Kolb dabei geblieben.
«Brezen sind ein undankbares Gebäck», sagt Peter Wolfschmidt gegen das Rattern der Brezenanlage. Und doch liebt er sie. Sie sind seine Existenzgrundlage – und eine seiner Leibspeisen. «Pro Tag esse ich mindestens eine Breze», sagt der 24-Jährige. Aber die Brezen sind eben auch sensibel: Sie reagieren empfindlich auf die falsche Temperatur, Feuchtigkeit und sogar Luftdruck. Ist es zu kalt draußen – wie gerade jetzt – muss das Wasser erwärmt und mehr Hefe zugegeben werden. Und in den schwülen Sommermonaten haben die Wolfschmidts mit der Hygroskopie zu kämpfen, sprich: die Brezen ziehen Wasser an. Das macht sie schnell «lädscherd».
Noch haben Peter Wolfschmidts Eltern Erich und Karin das Sagen in der Backstube. Doch eines Tages wird der Junior, der in zwei Nürnberger Bäckereien sein Handwerk gelernt hat, die Firma übernehmen. Seine Mutter ist eine gebürtige Kolb, seine Großeltern Heinz und Anneliese Kolb gründeten 1957 das heutige Brezenimperium. Derzeit macht Peter Wolfschmidt eine Ausbildung zum Betriebswirt. Wenn er das Unternehmen eines Tages übernimmt, wolle er schon einiges modernisieren, sagt er – aber sanft. «Ich werde bei den Wurzeln bleiben, damit die Qualität die gleiche bleibt.» Schließlich sei an den Brezen wenig zu verbessern, so wie sie jetzt sind.
20 Verkaufsstände gibt es in Nürnberg, einen in Fürth. Die kleinsten werden dreimal, die größeren bis zu neunmal am Tag beliefert. 15 Schulen nehmen die Brezen ab, außerdem fast alle namhaften Firmen in Nürnberg: Uvex, Siemens, MAN, Datev, Diehl. Vier Fahrer sorgen dafür, dass alle ihre Brezen rechtzeitig bekommen. Werbung macht das Unternehmen kaum. Das liege zum einen daran, sagt Peter Wolfschmidt, dass dafür kein Geld übrig sei. «Wir kalkulieren die Preise sehr knapp.» Zum anderen ist Kolb sowieso bekannt wie ein bunter Hund, die vielen Stände tun ihr Übriges.
Es ist 2 Uhr, ich werde langsam müde. Peter Wolfschmidt dreht gerade erst richtig auf. Bis halb neun Uhr muss er noch arbeiten: Teig zubereiten, Bestellungen abarbeiten, Touren einteilen, die Maschinen überwachen, Büroarbeit. Er macht das gern, sagt er: «Ich übernehme meistens die Nachtschichten, meine Eltern machen das nicht mehr so gern. Ich bin eben ein richtiger Nachtgieger.»
Keine Kommentare
Um selbst einen Kommentar abgeben zu können, müssen Sie sich einloggen oder sich vorher registrieren.
0/1000 Zeichen