Das Leid, das aus dem Automaten kommt

7.10.2012, 11:13 Uhr
Das Leid, das aus dem Automaten kommt

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NZ: Spielen ist eigentlich etwas Schönes, etwas Kindliches, Befreiendes. Wie kann daraus eine Sucht entstehen?

Thomas Bauer: Im Englischen wird klar unterschieden zwischen „Play“ und „Gamble“, also etwa vergnüglichem Spiel und Glücksspiel. Bei der Glücksspielsucht geht es immer um ein Spielen um Geld – das macht es zu etwas ganz anderem als ein kindliches Spielen. Es geht um einen Spannungsbogen, der bei einem vom Zufall bestimmten Geldspiel entsteht. Und nach dieser Spannung werden die Menschen schließlich süchtig, weil der Spannungsbogen immer von Neuem wiederholt werden muss.

An Spielautomaten ist dies ziemlich perfekt umgesetzt: Ein Spiel dauert dort etwa acht Sekunden, also durchläuft der Spieler den Spannungsbogen etliche Male innerhalb einer Minute. Genau diese schnelle Abfolge ist etwas, das das Automatenspiel deutlich riskanter macht als etwa das Lottospiel mit zwei Ziehungen pro Woche.

NZ: Auch am Automaten kann man spielen, ohne gleich süchtig zu werden. Wo beginnt die Sucht?

Bauer: Spätestens da, wo sich über das Spielen Folgeprobleme entwickeln und die Betreffenden trotzdem weiter spielen. Also wenn man die Partnerin anlügt, wenn man während der Arbeitszeit spielt und damit den Arbeitsplatz gefährdet, wenn man Schulden macht wegen des Spielens. Das sind relativ sichere Anzeichen dafür, dass ein Suchtverhalten vorliegt. Ein anderer Indikator wäre der Kontrollverlust: Dass man sich vornimmt, nicht oder nur bis zu einem bestimmten Limit zu spielen, und diesen Vorsatz dann missachtet. Ganz häufig passiert es auch, dass Gewinne sofort wieder verspielt werden oder dass Betroffene ihren Verlusten ständig hinterherlaufen.

NZ: Was bedeutet das psychisch?

Bauer: Das Spielen bekommt eine Bedeutung, eine Funktion für das psychische Gleichgewicht des Betroffenen. Etwa, um sich von seinen alltäglichen Problemen abzulenken. Oder um nach einem anstrengenden Arbeitstag abschalten zu können.

NZ: Gibt es Menschen, deren psychische Struktur besonders anfällig für Spielsucht ist?

Bauer: Wissenschaftliche Untersuchungen arbeiten immer wieder heraus, dass auffällig mehr Männer betroffen sind. Und es sind immer wieder Menschen, die Action suchen. Es können aber auch Sportbegeisterte sein, die eine Wette platzieren, und darüber zur Spielsucht kommen. Es gibt sehr viele Wege. Gemeinsam scheint allen Betroffenen zu sein, dass sie Spannung als etwas sehr Angenehmes empfinden.

NZ: Im Zentrum der Spielsucht steht der Kontrollverlust. Und genau hier ergibt sich eine ganz große Nähe zu anderen Suchtformen – also Alkohol oder Drogen.

Bauer: Das Entscheidende ist die psychische Wirkung, und das ist bei der Spielsucht sehr vergleichbar mit substanzgebundenen Suchtformen. Ein Unterschied besteht darin, dass es bei der Spielsucht keinen Rausch gibt, damit ist sie viel leichter zu verheimlichen. Tatsächlich sind viele Spieler lange Zeit sehr leistungsfähig, haben vielleicht sogar noch einen Nebenjob, um sich das Geld für den nächsten Kick zu beschaffen.

NZ: Gibt es Warnzeichen, die man als Betroffener auf dem Weg in eine Spielsucht wahrnehmen kann?

Bauer: Wenn man Gewinne sofort wieder verspielt. Wenn man sich ständig im Kopf mit dem Spiel beschäftigt. Wenn der Geldverlust vom Vorabend an einem nagt. Oder wenn man sich bei Sportwetten immer wieder Quoten ansieht. Das sind sehr deutliche Warnzeichen, dann sollte man sich Gedanken machen.

NZ: Auf welche Zeichen sollten

Partner und Angehörige achten?

Bauer: Warnzeichen könnten für sie sein, dass der Partner häufig abwesend ist, dass es ständig Geldprobleme gibt, obwohl eigentlich genügend Einkommen vorhanden ist. Aber das ist alles sehr schwierig, weil Spielsucht eine heimliche Sucht ist. Jeder Mensch, der süchtig ist, schämt sich dafür und versucht lange Zeit, dies zu verheimlichen. Und bei der Glücksspielsucht geht das auch lange Zeit. Deshalb haben wir auch immer wieder mit Paaren zu tun, bei denen die Partnerin sagt: Ich habe jahrelang nichts bemerkt.

NZ: Wo könnte man sich

als Angehöriger Hilfe holen?

Bauer: Beispielsweise bei uns im Suchthilfezentrum der Stadtmission. Wir haben eine Fachstelle Glücksspielsucht für die Beratung von Betroffenen und Angehörigen. Man kann aber auch Kontakt zu anderen Suchtberatungsstellen oder zur Landesstelle Glücksspielsucht aufnehmen.

NZ: Angenommen, die Beratung vertieft den Verdacht der Angehörigen. Dann möchte man natürlich, dass der Partner sich mit der Sucht auseinandersetzt. Wie kann man ihn bzw. sie dazu motivieren?

Bauer: Das ist schwierig. Deshalb erleben wir es häufig, dass Betroffene in akuten Krisen zu uns kommen. Wenn die Partnerin sagt: Länger mache ich das nicht mehr mit. Oder wenn die Sucht gerade aufgedeckt wurde. Oder wenn der Arbeitsplatzverlust droht. Sucht ist im Kern ja auch eine Fluchtreaktion vor psychischen Problemen. Und insofern flüchtet der Betroffene immer wieder vor den Folgen des Spielens. Erst wenn es ganz eng wird, dann platzt die Blase, und es entsteht eine Bereitschaft, sich Hilfe zu holen.

NZ: Sehen Sie einen Zusammenhang zwischen der um sich greifenden Spielsucht und der wachsenden Zahl von Spielhallen?

Bauer: Ein gewisser Prozentsatz von Menschen, die spielen, wird süchtig. Und je größer das Angebot ist, desto größer wird die Gefahr, dass mehr Menschen in die Spielsucht geraten.

NZ: Was wünschen Sie sich hier

von der Politik in Sachen Spielhallen?

Bauer: Ich würde mir eine klare, möglichst restriktive Haltung wünschen. Das Land Berlin beispielsweise hat sehr restriktive Gesetze erlassen – Stichworte: Mehrfachkonzessionen, Abstandsgebot, Sperrzeiten. Da entsteht natürlich Widerstand von Seiten der Betreiber; da wird viel Lobbyarbeit betrieben, mit sehr viel Geld. Ich sehe die momentane Liberalisierung im Sportwetten-Markt sehr kritisch. Denn damit findet eine Angebotsausweitung statt – mit den genannten Folgen.

Suchthilfezentrum der Stadt-

mission Nürnberg, Solgerstaße 21,

0911/27739-0, Mail:

SHG@stadtmission-nuernberg.de,

Internet:

www.stadtmisson.nuernberg.de

Landesstelle Glücksspielsucht

in München, Mail: info@lsgbayern.de

089/ 5527359-0

 

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