Der große kleine Unterschied

7.3.2008, 00:00 Uhr
Der große kleine Unterschied

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Keineswegs. Die Liste ließe sich beliebig fortführen: Ob Bankkaufleute oder Informatiker, Kellner oder technische Zeichner, Frauen verdienen in Deutschland rund 23 Prozent weniger als Männer. Im Europavergleich stehen nur die Estinnen und Slowakinnen schlechter da. Je nach Beruf liegen die Einkommensunterschiede in Deutschland zwischen 84 und 825 Euro, das ergibt der neueste Lohn- und Gehalts-Check der Hans-Böckler-Stiftung.

Ein Fall für den Menschenrechtskommissar

Diese Diskriminierung sei ein Skandal, sagt die stellvertretende DGB-Vorsitzende Ingrid Sehrbrock. Zum Internationalen Frauentag am morgigen Samstag startet der Deutsche Gewerkschaftsbund unter dem Motto «Ich bin mehr wert« eine Kampagne, mit der die Angleichung der Einkommen von Frauen und Männern erreicht werden soll. Selbst der Menschenrechtskommissar des Europarats, Thomas Hammarberg, hat sich des Themas angenommen und das Lohngefälle zwischen den Geschlechtern in dieser Woche als «schreiende Ungerechtigkeit« kritisiert. «Das Prinzip ,gleicher Lohn für gleiche Arbeit‘ gehört zu den Grundkonzepten der Gerechtigkeit«, betont er.

Dass Frauen grundsätzlich weniger verdienen, liegt allerdings auch daran, dass sie andere Berufe ausüben als Männer. Wie Juliane Achatz, Leiterin der Arbeitsgruppe Geschlechterforschung am Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) in Nürnberg, erklärt, sind gerade die Sozialberufe immer noch typische Frauenberufe. Erzieherin, Altenpflegerin, selbst Sozialpädagogin mit Fachhochschulabschluss - all diesen Berufsbildern ist zweierlei gemeinsam: Sie bieten wenig Aufstiegsmöglichkeiten und sie werden oft sehr gering bewertet. «Für Hausarbeit und Pflege gab es früher gar kein Entgelt«, sagt Achatz.

Typische Frauenberufe gelten im Tarifgefüge wenig

Heute verdienen Kindergärtnerinnen weniger als Kfz-Mechaniker, Krankenschwestern weniger als Polizisten, bemängelt die EU-Kommission - trotz langer Ausbildung und hoher physischer wie psychischer Anforderungen. Langjährige Tarifstrukturen werden einfach fortgeschrieben, sagt Achatz. Auch, weil es vorwiegend Männer sind, die solche Tarife aushandeln, ergänzt ihr IAB-Kollege Hermann Gartner.

Dass junge Frauen dennoch zu geringer vergüteten Tätigkeiten neigen, hat für Achatz mehrere Gründe: Sie wissen in der Berufsfindungsphase noch zu wenig um die späteren Verdienstmöglichkeiten; die Berufswahl lehnt sich der wachsenden Geschlechtsidentität der Jugendlichen an; zudem suchen sich viele Mädchen bewusst Berufe, in denen die Aussicht auf eine spätere Teilzeitarbeit die Chancen auf die Vereinbarkeit von Familie und Beruf erhöht. Das traditionelle Rollenverhalten stützt so die vorherrschende Lohnkluft.

Die aktuellen Zahlen der Böckler-Stiftung und Studien des Nürnberger IAB heben allerdings gerade die Unterschiede innerhalb des gleichen Berufsstandes hervor: Selbst bei Frauen und Männern mit gleicher Ausbildung, im gleichen Alter und im gleichen Betrieb beträgt der Lohnunterschied noch stolze zwölf Prozent, hat IAB-Forscher Gartner herausgefunden. Wie das?

Fast immer sind es die Frauen, die für die Kindererziehung eine Auszeit nehmen, und dann vielleicht nur mit einer Teilzeitstelle wieder in den Beruf einsteigen. Diese Brüche in ihrer Erwerbsbiographie - und damit weniger Berufserfahrung - lassen ihr Gehalt langsamer ansteigen. Kommt die Kollegin zurück aus der Babypause, haben die Männer in ihrer Abteilung bereits Karriere gemacht.

So erklärt sich etwa das Gehaltsgefälle bei den Sozialpädagogen: 15,7 Prozent verdient hier ein Mann mehr. Denn er ist es, der im Regelfall die Sozialeinrichtung leitet, die Frauen bleiben von Führungspositionen oft ausgeschlossen, bestätigt Gartner.

Personalchefs setzten meist auf Männer; die zudem in Gehaltsverhandlungen oft forscher und geschickter agieren als ihre Kolleginnen; die bei Beförderungen und Funktionszulagen immer noch bevorzugt werden. Weil sie - nicht nur in den Augen der Personalleiter - als die eigentlichen Ernährer ihrer Familie gelten. Die Frauen werden auch im 21. Jahrhundert weiter auf die Rolle der Zubrot-Teilzeit-Nebenjob-Erwerbstätigen reduziert.

Anders dort, wo anhand objektiver Kriterien über Karrieresprünge entschieden wird: Hier sind die Ungleichheiten geringer, betont Gartner; ebenso bei den Arbeitgebern, bei denen eine Gleichstellungsbeauftragte ein Auge darauf hat - wie im Öffentlichen Dienst.

Dennoch: «Frauen werden nicht grundsätzlich benachteiligt«, sagt Juliane Achatz. Vielen von ihnen seien neben dem Beruf eben auch Kinder und Familie wichtig. Die Mischung aus Teilzeitjob und Familienarbeit sei für viele trotz der Gehaltsabschläge mehr als nur zufriedenstellend. Achatz beklagt allerdings, dass es Frauen oft unmöglich gemacht wird, vom Teilzeit- in den Vollzeitjob zu wechseln und umgekehrt. «Längst nicht jede kriegt hier, was sie will«, kritisiert die Forscherin.

Die besseren Schulnoten und Examina haben heute die Frauen

«Die Ungleichheit beginnt bereits beim Übergang von der Schule in den Arbeitsmarkt«, sagt ihr Kollege Gartner. Und sie trifft auch heute noch die jungen Frauen, obwohl diese inzwischen mit besseren Noten von der Schule abgehen als die männlichen Jugendlichen, später dann mit besserem Examen von der Uni. Hier müssten Politik und Betriebe ansetzen, fordern Achatz und Gartner unisono: flexiblere Arbeitszeiten, mehr Kinderbetreuung, mehr Ganztagsschulen. «In anderen Ländern gelingt es besser, Familie und Beruf unter einen Hut zu bringen«, sagt Gartner; anderswo haben Akademikerinnen mehr Kinder als in Deutschland, wo sich der Staat zu sehr auf finanzielle Anreize verlasse, statt die unterstützende Infrastruktur für Familien auszubauen.

Wäre es Frauen möglich, schneller in den Beruf zurückzukehren, würde dies ihren Einkommensnachteil gewiss verringern, sagt Achatz voraus. Denn den Rückstand einer längeren Kinderpause holen sie kaum mehr auf. Nicht ohne Folgen: Die deutsche Alltagsrealität, dass Frauen für die gleiche Arbeit weniger Geld bekommen, verstärkt sich, je älter die Arbeitnehmer werden (siehe Grafik).

Dies liegt zwar auch an der niedrigeren Qualifikation der meisten älteren Arbeitnehmerinnen, erklärt Gartner. Doch im Umkehrschluss ist genau das ein Grund zur Hoffnung auf mehr Gehaltsgerechtigkeit: Die guten Qualifikationen junger Frauen werden sich auch im Lohnniveau niederschlagen, ist Juliane Achatz überzeugt. Wenn auch nur langsam.

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