Die Gunst der Göttinen glänzt über Nürnberg
3.5.2013, 10:00 UhrDie Rede ist von einer lebensgroßen Bronzestatue des Bildhauers Wilhelm Uhlig. Wie eine Heiligenfigur schmückt sie das Eck der Mohren-Apotheke, in der Königstraße 32 (1). Nichts verrät uns, wer sie ist – stünde da nicht ihr Name in griechischen Buchstaben auf dem Sockel: Hygieia. Sie galt den Griechen der Antike als Göttin der Gesundheit und als Tochter des Heilgottes Asklepios, dessen Symbol, eine Schlange, noch heute das Apotheken-A ziert. Auch im Eid des Hippokrates wird Hygieia – ihr Name ist der Ursprung des Wortes „Hygiene“ – angerufen: „Ich schwöre bei Apollon und Asklepios und Hygieia...“
Auch am Eck der Commerzbank (2) auf der gegenüberliegenden Straßenseite entdecken wir eine zur Funktion des Hauses passende Standfigur: Es ist die Glücksgöttin Fortuna mit Füllhorn. Dessen Öffnung zeigt freilich nach oben – nicht gerade werbewirksam für ein Geldinstitut, von dem sich die Kunden möglichst hohe Gewinnausschüttungen erhoffen! Die Statue wurde 1926 eigens für das neu erbaute Bankgebäude geschaffen und stammt von Josef Pöhlmann, einem Bildhauer, der ebenso wie Wilhelm Uhlig Professor an der Nürnberger Akademie der bildenden Künste war.
Damals erntete die Plastik heftige Kritik: Sie stehe „hölzern“ da, fühle sich offenbar „unbehaglich in der Umgebung“ und lasse „jedes Lebendige vermissen“. Auch wenn hier subjektives Empfinden zum Ausdruck kommt, lässt sich doch nicht verleugnen, dass der Pöhlmannschen Fortuna in ihrer nüchtern-sachlichen Formgebung jene Leichtigkeit abgeht, mit der nur wenige Meter weiter eine andere Fortunaplastik den Betrachter erfreut.
Oh Fortuna, du trägst Blumen im Haar
Sie steht auf einer Konsole an der Fassade des Hauses Königstraße 33 (3) in Höhe des ersten Stockwerks. Ihre Scham kaum durch ein dünnes Tuch verhüllend, hält diese Fortuna in ihrer Linken ein überquellendes Füllhorn, während sie uns mit ihrer Rechten freundlich und einladend zuwinkt. Der Blumenkranz auf ihrem Kopf symbolisiert Überfluss und Freude. Entworfen wurde die Plastik von Philipp Kittler, von dem ja auch die jugendlich schöne Fortuna stammt, die golden leuchtend den Apollotempel im Cramer-Klett-Park krönt.
Noch ein weiteres Werk von Philipp Kittler findet sich an der Fassade: Es ist die sagenhafte Nymphe Noris. Als Personifikation Nürnbergs streckt sie uns das große Stadtwappen, den Königskopfadler, entgegen. In der Antike stellte man sich Nymphen stets als junge schöne Frauen göttlichen oder halbgöttlichen Ursprungs vor. Eine Nymphe namens Noris kannten die Griechen und Römer freilich nicht, sie ist eine Schöpfung humanistischer Gelehrter. In ihrer grazilen Mädchengestalt bringt Kittlers Noris jedoch den Anspruch Nürnbergs, eine attraktive Stadt zu sein, signifikant zum Ausdruck.
Unmittelbar nördlich der Lorenzkirche begegnet uns gleich eine ganze Armada attraktiver Frauen: Als Allegorien der Tugenden schmücken sie den von Benedikt Wurzelbauer 1589 fertiggestellten Tugendbrunnen (4), der freilich gar nicht so tugendhaft ist, wie uns sein Name suggerieren will – sprudelt das Wasser doch ausgerechnet aus den prallen Brüsten der jungen Frauen!
Oh Göttin, schenk uns deine Tugenden
Bereits in der Antike kannte man die Idee einer Vierergruppe von Grundtugenden: Klugheit, Tapferkeit, Mäßigung, Gerechtigkeit. Im Christentum kamen noch die theologischen Tugenden Glaube, Liebe, Hoffnung hinzu. Die Allegorien der Tugenden sind durch ihre Attribute jeweils eindeutig zu identifizieren: Kreuz und Kelch (Glaube), zwei Kinder (Liebe), Anker (Hoffnung), Löwe (Tapferkeit), Krug (Mäßigung). Die Tugend der Klugheit wird hier am Brunnen durch die Tugend der Geduld ersetzt, ihr Attribut ist ein Lamm. Die Gerechtigkeit (Iustitia) steht mit verbundenen Augen, Schwert und Waage auf der obersten der drei Brunnenetagen, sie hat somit die wichtigste Rolle in der Reichsstadt. Der Kranich als weiteres Attribut der Iustitia lässt an Schillers Ballade „Die Kraniche des Ibykus“ denken: Diese Vögel waren es, die die beiden Mörder des Dichters Ibykos, der im 6. Jahrhundert vor Christus lebte, ihrer gerechten Strafe zuführten.
Die Putti auf der zweiten Brunnenetage, die Posaune blasen und Wappen tragen, haben ihr Vorbild ebenfalls in der antiken Mythologie. Entstanden sind diese häufig geflügelten nackten Knaben als vervielfältigte Verniedlichung des Liebesgottes Eros respektive Amor. Römische Wandmalereien zeigen, dass ihre Funktion immer unbestimmter wurde – und so konnte man sie später problemlos in die christliche Kunst integrieren.
Weiter geht es zum Kriegerdenkmal am Köpfleinsberg (5). Auch wenn seit 1998 eine Tafel, die den Sinn von Kriegen in Frage stellt, dem Monument eine Zusatzfunktion als Mahnmal verleihen will, ist es schwer, sich mit dieser den Krieg glorifizierenden Manifestation nationalistischen Denkens anzufreunden. Auf einer schlanken korinthischen Säule tänzelt in luftiger Höhe Victoria, die Siegesgöttin, von den Griechen als „Nike“ verehrt. In ihrer Rechten hält sie triumphierend einen Siegeskranz – auch sie selbst ist bekränzt –, in ihrer Linken die Kaiserkrone: Die Gründung des deutschen Kaiserreiches 1871 war das Resultat des Sieges im Krieg gegen Frankreich.
Victoria wird stets mit Flügeln dargestellt – ein deutlicher Hinweis darauf, dass sie sich nicht festhalten lässt. Aber dessen waren sich die deutschen Militärs weder 1914 noch 1939 bewusst. Auch momentan scheint Victoria entflogen zu sein, unterzieht sie sich doch mitsamt ihrer Säule einer Kur, seit festgestellt wurde, dass die Standsicherheit des Denkmals gefährdet ist.
Oh Fortuna, lass dein Füllhorn überquellen
Beim Gang durch die Kaiserstraße stoßen wir auf das vorbildlich dem Altstadtbild angepasste Nachkriegseckhaus Kaiserstraße / Hintere Ledergasse (6). Dort lächelt uns eine reizende Frauengestalt entgegen. Unser Blick, inzwischen für Details geschärft, fällt auf das überquellende Füllhorn in ihrer Linken, und wir können sie mühelos als Fortuna identifizieren.
Sie steht auf der Weltkugel, deren Schicksal sie lenkt. Die 1954 entstandene Plastik, die ebenso wie die Fortuna an der Commerzbank und die Hygieia an der Mohren-Apotheke als modernes Pendant zu den traditionellen Nürnberger Hausfiguren anzusehen ist, stammt von Emil Zentgraf, der auch für die ansprechende Nachkriegskopie des Ochsen an der Fleischbrücke verantwortlich ist.
Tut es nicht gut zu wissen, dass wir in Nürnberg so umfassend vom Glück begünstigt werden? Das ist freilich auch nicht verwunderlich, heißt es doch schon beim römischen Schriftsteller Plinius: „Fortes fortuna iuvat“ Das lässt sich mit „Das Glück ist auf Seite der Tüchtigen“ übersetzen. Und wer wollte schon Nürnbergs Tüchtigkeit anzweifeln?
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