Frankens Forscher: Warum die Nürnberger Erker Chörlein heißen

28.11.2014, 17:51 Uhr
Frankens Forscher: Warum die Nürnberger Erker Chörlein heißen

© Fotos: Hermann Rusam

Nur wenige Zierelemente sind zu finden, wie etwa der Dacherker, der als Aufzugs- oder Schmuckerker gestaltet sein kann; oder das große, oft mit einem hübschen Oberlichtgitter verzierte Einfahrtstor: oder eine Hausfigur; oder das zugleich als Hausnummer dienende Hauszeichen.

Das eigenartigste und zugleich besonders liebenswerte Schmuckelement der Nürnberger Bürgerhäuser aber sind die Chörlein im ersten Obergeschoss. Sie schmückten – nach den Worten Erich Mulzers – die Fassade „wie eine kostbare Brosche ein unauffälliges Kleid“. In ihrer geradezu rhythmischen Reihung prägten sie vor dem Krieg ganze Straßenzüge, wie etwa die Adler- oder die Theresienstraße. Das früher charakteristische Aussehen der Nürnberger Altstadt ist heute noch in der Füll oder in der Lammsgasse zu erahnen.

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© Fotos: Hermann Rusam

Auffallend ist, dass Einfahrtstor, Chörlein und Dacherker nie in einer Linie direkt übereinander auftreten, sondern stets gegeneinander versetzt sind. Oft stammen die Chörlein nicht aus der Erbauungszeit des Hauses, sie wirken wie nachträglich angeklebt.

In keiner anderen Stadt gab es einst so viele Chörlein wie in Nürnberg. Erich Mende sprach von der „auffallendsten Eigenform der Nürnberger Bauweise“. Vor dem zweiten Weltkrieg betrug ihre Zahl rund 450. Etwa 350 fielen den Bombenangriffen zum Opfer. Das Bauamt der Stadt hatte zwar etliche Chörlein abmontiert und eingelagert – als man sie aber beim Wiederaufbau benötigte, waren sie nicht mehr auffindbar.

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© Fotos: Hermann Rusam

Auswärtige Besucher sind bei dem Wort „Chörlein“ zunächst oft irritiert, pflegen sie doch zu Hause für ähnliche Auskragungen im ersten Obergeschoss den Ausdruck „Erker“ zu verwenden. Doch auch in Nürnberg ist der Begriff „Chor“ für diese Ausbauten erst seit 1598 schriftlich belegt. Vorher sprach man von „Erkerlein“, „Ausladungen“ oder „Studiorum“. Das Wort „Chörlein“ hat sich wohl erst im 18. Jahrhundert durchgesetzt.

Zu unterscheiden sind die älteren Kapellenchörlein von den jüngeren profanen Chörlein. Die Kapellenchörlein stammen aus dem 14. und 15. Jahrhundert, das heißt aus der Gotik. Man schuf sie als Altarräume für kleine Hauskapellen. Wie der Chor einer Kirche sind sie deshalb grundsätzlich nach Osten ausgerichtet. Nach mittelalterlicher Auffassung durften diese sakralen Räume nicht von profanen überbaut werden. Dies ist also der Grund für das Heraustreten der Chörlein aus der Mauerfront!

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© Fotos: Hermann Rusam

Vier dieser Kapellenchörlein haben die Stürme der Zeiten überdauert. Eines ist das kleine Rathauschörlein an der Ostseite des alten Rathauses. Es ist das älteste erhaltene Chörlein Nürnbergs, geschaffen um 1332/40. Ein zweites gotisches Chörlein ziert das Nassauerhaus.

Das berühmteste der gotischen Beispiele aber ist das Sebalder Chörlein am Sebalder Pfarrhaus. Es entstand wohl zu der Zeit um 1370, als der Ostchor der Pfarrkirche erbaut wurde. Das fünfseitige Kapellenchörlein ruht auf pfeilerartigen Trägern. Die Brüstungsfelder der Maßwerkfenster zieren Darstellungen aus dem Marienleben: Verkündigung, Geburt Christi, Anbetung der Könige, Marientod, Marienkrönung.

Muschelkalk statt Sandstein

1902 wurde das aus erosionsanfälligem Burgsandstein geschaffene Original durch eine Kopie aus Muschelkalk ersetzt. An dem heute im Germanischen Nationalmuseum aufbewahrten Original hat man erst vor kurzem Farbreste entdeckt. Die Vorstellung, das sich das Chörlein einst in voller Farbenpracht zeigte, so wie wir es vom Schönen Brunnen am Hauptmarkt gewohnt sind, fällt uns heute nicht ganz leicht.

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© Fotos: Hermann Rusam

Während die Kapellenchörlein alle aus Burgsandstein gefertigt wurden, gab es mindestens ein – aus spätgotischer Zeit stammendes – Chörlein aus Holz. Es war ursprünglich am Harsdörfferschen Haus in der Adlerstraße 9 angebracht. Als 1872 das Gebäude abgerissen wurde, erwarb die Großherzogin Sophie von Sachsen-Weimar dieses außerordentlich reizvolle Chörlein, das sie an der Nordseite des Vogteigebäudes anbringen ließ. Als „Wartburg-Chörlein“ ist es heute zu einem beliebten Fotomotiv auf der Wartburg geworden. 1953/54 freilich ersetzte man das Original durch eine Kopie. Und was vom Original übrig geblieben war, wanderte wieder nach Nürnberg zurück. Die Reste wurden 2002 von der Wartburg-Stiftung dem GNM als Leihgabe überlassen. Die ältesten profanen Chörlein stammen aus der Zeit um 1500 und sind aus Stein gefertigt. Sie haben eine kastenförmige Gestalt. Beispiele hierfür sind die Chörlein an der Gartenseite des Sebalder Pfarrhofs (1480) und im kleinen Rathaushof (1515). Auch das Chörlein am Tucherschloss (um 1540) zählt zu dieser Gruppe. Alle diese Chörlein hatten nun keine sakrale Bedeutung mehr. Sie waren wegen der guten Lichtverhältnisse Studierstübchen oder dienten der Unterhaltung, indem sie sozusagen als Fernsehgerät der damaligen Zeit benutzt wurden, konnte man doch von hier aus das Straßengeschehen bequem verfolgen oder auch Gespräche mit Passanten auf der Straße führen.

Das älteste Holzchörlein (gebaut um 1670/80) hat sich in der Weintraubengasse 6 erhalten. Die meisten Holzchörlein aber stammen aus dem 18. Jahrhundert. Erich Mulzer schrieb: „Über kantige Renaissanceformen (Welserhof) entwickelte sich schließlich die meist hölzerne, schrank- oder kommodenhafte Barockform (Weißgerbergasse 25).“

Rokoko ist farbenfreudig

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© Fotos: Hermann Rusam

Im Rokoko (etwa 1740 bis 1770) erreichten die Chörlein mit ihren nunmehr stärker bewegten Formen einen künstlerischen Höhepunkt, zu besichtigen in der Füll 8, in der Adlerstraße 21 und in der Unteren Kreuzgasse 5. Ein besonders beachtenswertes Beispiel eines Rokoko-Chörleins, entstanden um 1750, finden wir in der Adlerstraße 16. Sowohl das Giebel- wie auch das Brüstungsfeld sind mit reicher Rocaille-Ornamentik überzogen. Auch die Kapitelle zeigen vollen Rokokoschmuck. In hohem Maße ist anzuerkennen, dass die Altstadtfreunde dieses Chörlein kürzlich in seiner ursprünglichen „heiteren Farbigkeit“ (Karl-Heinz Enderle) wieder ins Leben gerufen haben.

Im 19. Jahrhundert kamen die Chörlein weitgehend aus der Mode. Doch in der Phase des Wiederaufbaus nach dem zweiten Weltkrieg griff man zumindest vereinzelt auf das typisch nürnbergische Bauelement zurück. Exemplarisch seien hier die Chörlein in der Königstraße 8, am Rathausplatz 7 und in der Weißgerbergasse 16 erwähnt.

Wenn heute wieder 83 dieser Chörlein die Altstadt zieren, so ist dies in hohem Maße den Altstadtfreunden zu verdanken, die sich nicht nur bei der Erforschung dieser Chörlein, sondern auch bei deren Erhaltung große Verdienste erworben haben, so dass zumindest einige der Altstadtstraßen etwas von ihrem ursprünglichen Charakter bewahren oder wiedergewinnen konnten.

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